Mitja-Prozess "Werde den mir auferlegten Weg gehen"

  • von Lars Radau
Geht es nach Staatsanwaltschaft und Nebenklage, bleibt Uwe K. für die Vergewaltigung und Ermordung des kleinen Mitja den Rest seines Lebens hinter Gittern. K.'s Anwalt aber warb dafür, seinem Mandanten "nicht jede Perspektive zu nehmen".

Opferanwältin Ina Alexandra Tust versucht, Uwe K. direkt in die Augen zu schauen. "Stellen Sie sich vor, das wäre mit Ihrer Tochter passiert", sagt die blonde, zierliche Frau mit sanfter, aber eindringlicher Stimme. Doch der geständige Mörder des neunjährigen Mitja reagiert nicht. Wie im gesamten bisherigen Prozessverlauf bleibt er äußerlich völlig unbewegt, hält seine Arme verschränkt, den Blick nach unten gerichtet. Auch wenn die Anwältin, die die Eltern des ermordeten Mitja als Nebenklägerin vor Gericht vertritt, K. weiter im Blick hat, gelten ihre nächsten Worte vor allem der großen Strafkammer des Leipziger Landgerichts, die neben dem Vorsitzenden Hans Jagenlauf ausschließlich aus Frauen besteht. Mitjas Tod sei "vollkommen sinnlos" gewesen, und es sei der tiefe Wunsch der Eltern, Uwe K. "nie wieder in Freiheit zu lassen, damit anderen Kindern nicht das passiert, was Mitja erleiden musste."

Dass der 43-Jährige, der zum Prozessauftakt seinen Anwalt Malte Heise ein Geständnis hatte vortragen lassen, für die Vergewaltigung und Ermordung des neunjährigen Schülers das Urteil Lebenslänglich zu erwarten hat, ist allen Prozessbeteiligten ohnehin klar. Damit allein aber hätte K. die theoretische Chance, nach 15 Jahren wieder auf freien Fuss zu kommen. Dass das aus ihrer Sicht nicht passieren darf, macht auch Oberstaatsanwältin Claudia Laube in ihrem Strafantrag mehr als deutlich. Sie betont, dass die moralische Betrachtung der Tat für sie deutlich weniger Gewicht habe als die strikt juristische Bewertung der Fakten. Aber schon allein diese sprächen dafür, neben der lebenslangen Haft auch die besondere Schwere der Schuld festzustellen und anschließend die Sicherungsverwahrung gegen Uwe K. auszusprechen.

Der Angeklagte, führt Laube aus, habe den Jungen am Nachmittag jenes 22. Februar zufällig getroffen und die offene, kontaktfreudige Art, das Vertrauen des Schülers ausgenutzt, um ihn zu sich nach Hause mitzunehmen. "Als Mitja mit Ihnen in die Straßenbahn stieg, wussten Sie, wohin die Reise geht", hält sie Uwe K. vor. Der gelernte Maurer habe an jenem Tag zu fast jeder Zeit planmäßig gehandelt. "Sie haben ihn bewusst an einen Ort mitgenommen, an dem Sie die absolute Situationskontrolle hatten", sagt Laube. "Mitja konnte nicht mehr erwarten, dass ihm jemand hilft." Die Vergewaltigung und das Ersticken des Kindes hätten für den Jungen enorme Qualen bedeutet. Hier, so Laube, kämen die Mordmerkmale niedere Beweggründe und Grausamkeit zusammen.

Todeskampf dauerte mindestens eine Minute

Mitjas Todeskampf habe laut des gerichtsmedizinischen Gutachtens mindestens eine Minute gedauert. Zudem, hatte der Gerichtsmediziner Vladimir Wenzel zuvor herausgearbeitet, seien zwischen dem Missbrauch des Kindes und dessen Tod "mindestens fünf Minuten" vergangen. Dies, betont Laube, sei ein deutliches Indiz dafür, dass K. den Entschluss zur Tötung mit dem Vorsatz gefasst habe, sein vorhergehendes Verbrechen zu verdecken. "Eine Affekt- oder sich hochschaukelnde Konfliktsituation ist hier definitiv ausgeschlossen."

Damit, so Laube, seien die Merkmale für eine Mordanklage und die besondere Schwere der Schuld erfüllt. Bei der Sicherungsverwahrung verhalte es sich "etwas diffiziler". Normalerweise, erläutert die Oberstaatsanwältin, sei die gutachterlich mehrfach attestierte Pädophilie K.'s allein noch keine hinreichende Begründung. In Zusammenhang damit, dass K. frühere Taten aber auch in vergleichsweise stabilen Lebenssituationen verübt habe, gehe sie dennoch davon aus, das von dem Angeklagten dauerhaft eine Gefahr für die Gesellschaft ausgehe, betont Laube. Diese Gefahr werde durch seine Alkoholabhängigkeit noch verstärkt. "Obwohl Sie wissen, was passiert, trinken Sie sich gewissermaßen die Ampel grün", hält Laube Uwe K. vor. "Das Gewissen steht dann nicht mehr im Weg und man tut, was man sowieso tun will." Dieses "innere Muster", das nicht nur, wie von Anwalt Malte Heise behauptet, in Lebenskrisen auftrete, sondern immer dann, wenn K. Problemen ausweichen wolle, rechtfertige die Sicherungsverwahrung.

"Glasklare Faktenlage"

Auch diese Ausführungen hat Uwe K. regungslos verfolgt. Bevor er an der Reihe ist, bitte sein Anwalt Malte Heise um eine kurze Pause. Er wolle sich mit seinem Mandanten noch einmal beraten. Nach einer guten Viertelstunde sind die beiden wieder auf ihren Plätzen - und zunächst redet der Anwalt. Er könne den Einschätzungen der Oberstaatsanwältin und der Nebenklage "nur zum Teil" folgen, betont Heise. Zwar werte auch er die Tat anhand der "glasklaren Faktenlage" als schweren sexuellen Missbrauch und Mord. Doch es gebe durchaus einige Aspekte, die für eine Strafmilderung und gegen die besondere Schwere der Schuld sprächen. "Mein Mandant hat mit seinem Geständnis vor allem den Eltern einen nervenaufreibenden Indizienprozess erspart", betont er. Auch K.'s Alkoholeinfluss sei ebenso strafmildernd zu bewerten wie die Tatsache, dass Opfer und Täter "absolut zufällig" aufeinander getroffen seien. "Das spricht gegen eine kühl geplante Tat. Herr K. ist eher in diese Situation hineingerutscht", hebt Heise hervor.

Deswegen sei es auch jetzt noch zu früh, über eine Sicherungsverwahrung zu entscheiden. "Niemand vermag zu sagen, ob dieser Täter in 15, 18 oder 20 Jahren noch eine Gefahr für die Allgemeinheit sein wird", sagt Heise. Ganz abgesehen davon, dass er dann "ein alter Mann" sei. Daher sieht K's Anwalt "zu diesem Zeitpunkt keine Notwendigkeit, eine Sicherungsverwahrung zu verhängen" und damit die später zuständige Strafvollstreckungskammer zu binden. Sein Mandant bekomme so auch "nicht jede Perspektive genommen".

"Werde meinen Weg gehen"

Der nutzt - offenbar als Ergebnis der Beratung - überraschend die Gelegenheit zum Schlusswort, die Richter Hans Jagenlauf ihm anbietet. Erstmals seit Prozessbeginn gibt Uwe K. seine in sich gekehrte Haltung auf, erhebt sich und spricht etwas stockend, mit leicht zitternder Stimme ins Mikrofon. Er wolle die Eltern Mitjas noch einmal um Verzeihung bitten - auch wenn er wisse, dass er diese nicht erwarten könne. Ansonsten wolle und werde er "den Weg, der mir auferlegt wird, gehen und bewältigen."

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