Die Mörder müssen sich gut ausgekannt haben. Nachdem die Täter am Mittwochabend im Kurdischen Informationszentrum von Paris drei kurdische Aktivistinnen in Berufskiller-Manier getötet hatten, verließen sie das Gebäude in der Lafayette-Straße unerkannt - und schlossen sogar die Tür hinter sich zu, wie der türkische Botschafter Tahsin Burcuoglu am Tag nach dem Mord sagte. Für die meisten Beobachter stand fest, dass der professionell ausgeführte Dreifachmord politische Motive hatte: Die Schüsse richteten sich demnach gegen die Friedensverhandlungen zwischen Türkei und kurdischen Rebellen.
Prominentestes Opfer war Sakine Cansiz, Mitbegründerin der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und eine treue Anhängerin von PKK-Chef Abdullah Öcalan, wie die Pariser Türkei-Expertin Dorothée Schmid sagt. Die 55-jährige Cansiz stammte aus dem ostanatolischen Tunceli und kam wie Öcalan politisch aus dem linksradikalen Lager. 1978 gehörte sie mit Öcalan zur Gründungsgruppe der PKK, die sechs Jahre später den bewaffneten Kampf gegen Ankara begann.
Ihren Ruf als unerschrockene Kämpferin erwarb sich Cansiz vor allem damit, dass sie sich nach dem Militärputsch von 1980 im berüchtigten Gefängnis von Diyarbakir nicht von der Folter brechen ließ. Nach einigen Jahren des Kampfes in der Türkei setzte sich Cansiz Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland ab. Im Jahr 2007 wurde sie festgenommen, doch die deutschen Behörden wiesen einen Auslieferungsantrag der Türkei zurück. Sie lebte seit einigen Jahren in Frankreich.
Politische Monitive wahrscheinlich
Cansiz war für den türkischen Sicherheitsapparat also keine Unbekannte, auch ist es ein erklärtes Ziel der Türkei, hochrangige PKK-Vertreter aus dem Verkehr zu ziehen. Aber welchen Nutzen sollte Ankara darin sehen, Cansiz und zwei weitere kurdische Aktivistinnen ausgerechnet jetzt auf dem Boden eines westeuropäischen Landes beseitigen zu lassen?
Keinen, sagt Didier Billion, Türkei-Experte beim Politik-Institut Iris in Paris. Er könne nicht erkennen, welches Interesse die Türkei an einem solchen Anschlag haben sollte, sagt Billion. Die Regierung in Ankara hatte erst kürzlich Verhandlungen mit Öcalan begonnen. Die Morde von Paris könnten diese Verhandlungen jetzt gefährden.
Auch Dorothée Schmid betont, es sei einerseits leicht für die kurdische Seite, nach dem Mord mit dem Finger auf die Türkei zu zeigen. Aber es sollte andererseits eben nicht außer acht gelassen werden, dass es in der Türkei auch Widerstand gegen die Friedensgespräche gebe. So werde über eine Freilassung des zuerst zum Tode und dann zu lebenslanger Haft verurteilten Öcalan diskutiert, was viele Türken angesichts der Gewalttaten der PKK aufbringe, sagt die Direktorin des Türkei-Programms am Französischen Institut für internationale Beziehungen in Paris.
Ankara weist Verwicklung in Mordfall zurück
Wenn es nicht die Türken waren, könnten es denn PKK-interne Hardliner gewesen sein? Diese Variante brachte der Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP, Hüseyin Celik, am Donnerstag ins Gespräch. In der Vergangenheit habe es schließlich schon häufiger blutige Abrechnungen unter den Rebellen gegeben, sagte Celik.
Nach dieser Lesart ist es denkbar, dass Mitglieder der PKK-Fundamentalisten die Öcalan-Anhängerin Cansiz töteten, um eine Botschaft an Öcalan selbst zu schicken. "Die Aktion zielte auf Öcalan", ist sich auch der Journalist Avni Özgürel von der türkischen Zeitung "Radikal" sicher.
Während die Suche nach Tätern und Motiven am Donnerstag anlief, hielt sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit Kommentaren zu dem Mord zurück. Erst müsse die Aufklärung des Verbrechens abgewartet werden, sagte er während einer Afrikareise. Eine PKK-interne Fehde sei ebenso möglich wie eine "Provokation" gegen die Kurdenpolitik seiner Regierung.
Erdogans Sprecher Arinc betonte, Ankara weise jede Verwicklung in den Mordanschlag zurück: "Außergerichtliche Hinrichtungen" wie die in Paris kämen für die Türkei nicht in Frage, sagte Arinc.