Die Gewaltspirale durch Piraterie auf den Weltmeeren dreht sich immer schneller: 445 Fälle moderner Seeräuberei listet das Anti-Piraten-Zentrum des Internationalen Schifffahrtsbüros (IMB) in seiner am Mittwoch in Kuala Lumpur vorgelegten Bilanz für 2003 auf - 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Schlimmer noch: Mindestens 21 Seeleute kamen bei Angriffen ums Leben und damit über doppelt so viele wie 2002. "Die Zahlen zeigen eindeutig eine Zunahme der Attacken und der Gewalt", stellt der IMB- Direktor in Kuala Lumpur, Pottengal Mukundan, fest.
Zwei der beunruhigendsten Trends der jüngsten Zeit setzten sich zudem fort: Kidnapping von Besatzungsmitgliedern auf See und der Einsatz von Schusswaffen. Nach IMB-Angaben wurde 2003 mit 359 Seeleuten doppelt so viele von den Piraten als Geiseln genommen wie noch im vorangegangenen Jahr. Und in 100 Fällen enterten die Seeräuber mit Schnellfeuergewehren oder Pistolen die Schiffe.
Brennpunkt Indonesien
Brennpunkt der weltweiten Piraterie bleibt wie seit Jahren das riesige Inselreich Indonesien. Alleine von dort wurden 121 Angriffe gemeldet. Gleich danach sind Seeleute vor der Küste Bangladeschs am wenigsten sicher, von wo 58 Attacken bekannt wurden. Rund um Afrika ist die See vor Nigeria am gefährlichsten: Die Zahl der Piratenüberfälle verdreifachte sich 2003 sogar auf 39.
Eines der größten Sorgenkinder nicht nur des IMB ist derweil die Straße von Malakka, jene Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia, die zu den am meisten befahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt zählt. Dort verdoppelte sich die Zahl der Attacken fast auf 28. An manchen Stellen gerade einmal drei Kilometer breit, passieren pro Jahr um die 50 000 Schiffe die Meerenge - ein geradezu ideales Revier für Seeräuber.
Terrorgefahr durch Schiffsentführungen
Und nicht nur für die, wie internationale Fachleute gerade nach dem 11. September 2001 immer häufiger betonen. Auch Terroristen könnten ein Auge etwa auf Öl- oder Flüssiggastanker werfen, um die als Waffe gegen Häfen oder Hafenstädte einzusetzen. "Da so viele Schiffe Treibstoff durch die Straße transportieren (...), wären die Konsequenzen verheerend", schreiben die US-Analysten Dana Dillon und Lucia Selvaggi in der Zeitung "Asian Wall Street Journal". Ihren Angaben zufolge vermuten Fachleute, dass Terroristen etwa des El-Kaida-Netzes bereits mit dem Training begonnen hätten, Schiffe zu kapern, in einen Hafen zu steuern und in die Luft zu jagen.
Angesichts der potenziellen Gefahr unternehme gerade Indonesien viel zu wenig, um die Chance eines solchen katastrophalen Anschlags zu verringern, kritisieren die Autoren vom Asian Studies Center der Heritage Foundation in Washington. "Traurigerweise reagiert die indonesische Regierung auf dieselbe Art wie sie es auch tat, als Geheimdienste vor dem Anschlag auf Bali warnten - sie ignoriert die Informationen oder spielt sie herunter."
Kritik an Jakarta
Zwar weisen Kenner der Region auch darauf hin, dass es den indonesischen Behörden kaum möglich ist, die riesige Küste mit ihren hunderten von Inseln davor lückenlos vor Piraten oder Terroristen zu schützen. Doch stimmt auch das Internationale Schifffahrtsbüro in den Chor der Kritik an Jakarta ein. Indonesien solle seine Seepatrouillen endlich verstärken, fordert das IMB in seinem Bericht. Denn: "Wenn die Zahl der Piratenangriffe vor der indonesischen Küste zurückgeht, wird sich die gesamte Lage in Südostasien dramatisch ändern."