Experteninterview Fatale Gutachten

  • von Antje Joel
Itiel Dror
© Susannah Ireland /eyevine
Gen-Treffer? Klarer Fall? Keineswegs, sagt der Hirnforscher Itiel Dror. Ein Gespräch über die Verzerrung der Wahrnehmung und die fatalen Irrtümer von Rechtsmedizinern, DNA- und Fingerabdruck-Experten

Herr Dror, Sie haben in Studien etwas zeigen können, das Forensiker weltweit in Aufruhr versetzt hat. Beschreiben Sie uns Ihre Entdeckung.
Auf einen Titel für dieses Gespräch reduziert: „Die heimliche Wahrheit über forensisches Beweismaterial“.

Und die wäre?
Auch Forensiker machen Fehler! Sie machen sie bei der Auswertung von Fingerabdrücken und Handschriften, bei ballistischen Vergleichen und sogar bei der Analyse von DNA. Aber: Das ist noch nicht das Problem. Das Problem ist, dass alle die Forensiker für unfehlbar halten. Nicht nur Laien, sondern auch Rechtsanwälte, Richter, die Polizei. Alle haben dieses blinde Vertrauen in die forensische Wissenschaft. Hollywood-Produktionen wie „CSI“ tragen entscheidend dazu bei. Wir Forensiker sind schließlich selbst überzeugt von unserer Unfehlbarkeit. Aber die Wirklichkeit sieht ganz, ganz anders aus. Die Öffentlichkeit glaubt, Forensiker seien objektiv und unparteiisch. Die Wahrheit ist, dass ihnen ungeheuer viele Fehler unterlaufen, dass sie überaus voreingenommen sind – und aus dieser Voreingenommenheit heraus urteilen sie. Wir nennen das Cognitive Bias, kognitive Verzerrung. Und doch ist die Forensik die einzige wissenschaftliche Domäne, die einer dahingehenden Überprüfung bislang entkommen ist.

Erschienen in stern Crime 46/2022