US-Bundesstaat Tennessee Schulbehörde streicht "Maus" aus Lehrplan – der Holocaust-Comic wird zum Bestseller

Im Comic "Maus", der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, verarbeitet Art Spiegelman seine eigene Familiengeschichte. 
Im Comic "Maus", der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, verarbeitet Art Spiegelman seine eigene Familiengeschichte. 
© Stephanie Pilick / Picture Alliance
Eine Schulbehörde im US-Bundesstaat Tennessee hat den Holocaust-Comic "Maus" aus dem Lehrplan gestrichen. Dafür gibt es viel Kritik. Und neue Leserinnen und Leser für das preisgekrönte Werk. 

Jüdinnen und Juden zeichnet Art Spiegelman als Mäuse, Deutsche als Katzen. Er nimmt damit Bezug auf Rassenwahn und Ideologie der Nationalsozialisten. Und er findet in seinem Holocaust-Comic eine Form, unvorstellbares Leid künstlerisch und eindringlich darzustellen. In "Maus" verarbeitet Spiegelman seine eigene Familiengeschichte: Seine Eltern waren während des Zweiten Weltkriegs nach Auschwitz-Birkenau verschleppt worden, ihr ältester Sohn starb. Spiegelman wurde nach dem Krieg im Jahr 1948 geboren. 

Die Zeichnungen zu "Maus" entstanden zu weiten Teilen im Verlauf der 1980er Jahre und wurden erst im Magazin "RAW", später als Bücher veröffentlicht. 1992 wurde Spiegelman als erster Comic-Autor überhaupt mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. "Maus" ist längst Bestandteil von Hochschulseminaren und Unterrichtseinheiten. Auch im US-Bundesstaat Tennessee. Doch das soll sich im Bezirk McMinn jetzt ändern. 

Die Schulbehörde des Bezirks hat am 10. Januar beschlossen, den Holocaust-Comic "Maus" aus dem Lehrplan für die achte Klasse zu streichen. Stein des Anstoßes waren insbesondere im Buch verwendete Schimpfwörter wie "damn" (verdammt) und "bitch" (Schlampe). Ein Protokoll der Sitzung ist online öffentlich zugänglich. Tony Allman, ein Mitglied des Gremiums in Tennessee, sagte demnach: "Ich verstehe, dass die Kinder im Fernsehen und auch zu Hause Schlimmeres hören, aber wir reden hier von Sachen, für die ein Schüler, wenn er sie auf dem Flur sagen würde, zu Recht eine Strafe bekommen könnte. Und wir bringen ihnen das bei und verstoßen dabei gegen unsere eigenen Regeln?" 

Auch die Darstellungen im Buch stoßen ihm auf. Das Buch zeige erhängte Menschen und Kinder, die ermordet werden. Allman fragte in der Sitzung, warum das Schulsystem das fördere. "Das ist weder sinnvoll noch gesund."

Juli Goodin, eine ehemalige Geschichtslehrerin, entgegnete, dass nichts am Holocaust schön sei. Für sie sei das Buch eine großartige Möglichkeit gewesen, diese entsetzliche Zeit darzustellen. Einwände wie dieser – Goodin selbst gehört dem Gremium nicht an – konnten die Mitglieder jedoch nicht überzeugen. Am Ende entschieden sie sich einstimmig dafür, "Maus" aus dem Lehrplan für die achte Klasse zu streichen. 

"Maus"-Autor Art Spiegelman spricht von "Alarmstufe Rot" 

Eine Entscheidung, die nicht ohne Konsequenzen blieb. Jüdische Verbände kritisierten sie scharf. "Angesichts der ausgeprägten Wissenslücken vor allem junger Amerikaner über den Holocaust" sei die Entscheidung "völlig unverständlich", erklärte der Vorsitzende des American Jewish Committee, David Harris. 

Autor Art Spiegelman sagte der "Washington Post", dass Schulen mit solchen Entscheidungen limitierten, was Leute lernen, was sie verstehen und worüber sie nachdenken können. "Es gibt mindestens einen Teil unseres politischen Spektrums, der sehr enthusiastisch für das Verbannen von Büchern ist. Das ist Alarmstufe Rot." 

"Maus-"Autor Art Spiegelman sitzt mit eine Stift in der Hand an einem Schreibtisch
"Maus-"Autor Art Spiegelman im Jahr 2017
© Everett Collection / Picture Alliance

Gegenüber dem Sender CNBC verwies Spiegelman auf Russlands Präsident Wladimir Putin. Der habe die russische Edition von "Maus" bereits im Jahr 2015 verboten – wegen der Darstellung von Hakenkreuzen. Der kleine Verlag sei daraufhin sofort ausverkauft gewesen und habe "Maus" seitdem mehrfach neu drucken müssen, so Spiegelman. 

"Maus" ist jetzt Bestseller bei Amazon

Ein ähnlicher Effekt ist auch nach Bekanntwerden der Entscheidung aus Tennessee eingetreten. Das Buch "The Complete Maus" hat es an die Spitze der Amazon Bestseller im Bereich "Graphic Novels" geschafft und auf Platz 7 für Bücher allgemein. Ein Professor am Davidson College in North Carolina bietet Achtklässlern und High School Schülern im McMinn County Online-Unterricht zum Thema "Maus" an. 

Der Schulbezirk hingegen verteidigte seine Entscheidung in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung. "Maus. Die Geschichte eines Überlebenden" sei wegen der "unnötigen Nutzung von Obszönität und Nacktheit und der Darstellung von Gewalt und Suizid" als Lehrmittel verboten worden, hieß es darin. Derzeit werde nach anderen Werken gesucht, mit denen den Schülern die Geschichte des Holocaust auf "altersgerechtere Weise" nähergebracht werden könne.

Wenn auch nicht im Schulunterricht im Bezirk McMinn: Die "Maus"-Bücher von Art Spiegelman haben durch die Kontroverse viele neue Leserinnen und Leser gefunden. Und ein großes Werk mehrere Jahrzehnte nach seiner Entstehung neue Aufmerksamkeit. 

Quellen: "Washington Post", CNBCMcMinn County Board of Education, mit Material der AFP

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