Gefahrgut-Frachter Die verdächtige Odyssee der explosiven "Ruby"

Frachter Ruby vor einem schwedischen Hafen
Auf Vesselfinder.com lässt sich die Reise der "Ruby" exakt nachvollziehen
© Stian Saur/Nordlys/TT/ / Picture Alliance
Mit 20.000 Tonnen Ammoniumnitrat beladen, irrt ein Frachter seit Wochen durch Nord- und Ostsee. Kein Hafen lässt das Schiff anlegen – nicht nur wegen der Ladung.

Als die "Ruby" Ende August im russischen Hafen Kandalakscha die Leinen loswirft, ahnt wohl niemand, welche Irrfahrt dem 183 Meter langen Frachter bevorstehen würde. Das Ziel der "Ruby": Las Palmas auf den Kanarischen Inseln. Die Ladung: Ammoniumnitrat, ein Grundstoff zur Herstellung von Kunstdünger – oder ein Sprengstoff. Bei der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut 2020 hatten sich 2750 Tonnen des Stoffes entzündet. Die "Ruby" hat 20.000 Tonnen Ammoniumnitrat an Bord.

Ob das Schiff schon beim Verlassen des Hafens Schaden genommen hat oder in einem Sturm vor der Küste Norwegens – darüber gehen die Berichte auseinander. Laut "Barents Observer" konnte die Zeitung "Nordlys" die Route der "Ruby" nachvollziehen. Demnach hat das Schiff während eines Sturms vor Norwegen keine Gewässer durchfahren, die flach genug für eine Grundberührung gewesen wären. Nur in der Nähe des Starthafens gäbe es solche Gewässer oder kleine Inseln, an denen der Rumpf des Schiffes hätte Schaden nehmen können. Wenn der Schaden aber schon in Kandalakscha entstanden sein sollte – warum hat der Kapitän nicht die Hilfe russischer Behörden angefordert? 

Schließlich bittet die Schiffsführung laut "Barents Observer" am 26. August während eines Sturmes mit Windgeschwindigkeiten von teils über 100 Stundenkilometer, norwegische Gewässer anlaufen zu dürfen. Erst ankert die "Ruby" mehrere Tage hinter einer Insel, dann läuft sie mit Erlaubnis der Behörden den Hafen von Tromsø an. Keine 500 Meter vom Universitätskrankenhaus mit 6500 Angestellten und bis zu 600 Patienten entfernt macht sie fest, berichtet die Zeitung – und der Uni-Campus mit tausenden Studierenden grenzt ans Krankenhausgelände.

"Ruby" im Hafen von Tromsø inspiziert

"Wir haben eine Inspektion an Bord vorgenommen und mit der Besatzung gesprochen. Unsere Untersuchung hat kein verändertes Risiko im Zusammenhang mit der Ladung des Schiffes ergeben", sagt Håvard Malmedal von der Feuerwehr und dem Rettungsdienst in Tromsø dem "Barents Observer". Seine Brigaden arbeiteten eng mit anderen Notfall- und Bereitschaftsdiensten in Tromsø zusammen und seien gut darauf vorbereitet, die Risiken zu bewältigen. Trotzdem wird das Schiff nach mehreren Wochen wegen seiner riskanten Ladung aus dem Hafen verwiesen.

Dabei geht nach Einschätzung von Experten keine unmittelbare Gefahr von der Ladung der "Ruby" aus. "Das ist das Gute an Ammoniumnitrat. Es ist eigentlich ziemlich schwer zu entzünden", sagte der Sprengstoffexperte Peter Hald von der dänischen Universität Aarhus dem dänischen Sender DR. "Es ist nicht so, dass es explodiert, wenn das Schiff irgendwo anstößt oder jemand etwas in die Ladung fallen lässt."

"Ruby" Teil von Russlands hybridem Krieg?

Die Ladung ist womöglich nicht das einzige Problem. Experten warnen seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor einer "Schattenflotte" aus häufig veralteten und schlecht gewarteten Schiffen unter Flagge von Drittstaaten, die russische Güter durch Ost- und Nordsee transportieren. Jacob Kaarsbo vom dänischen Think Tank Europa sagte DR, die "Ruby" verhalte sich "verdächtig". Er schließe nicht aus, dass das Schiff Teil eines hybriden Kriegs ist, mit dem Russland die Reaktion der nordeuropäischen Staaten testen wolle, sagte Kaarsbo. Vielleicht wegen dieses Verdachts hatte in Tromsø ein Schiff der norwegischen Marine neben dem Frachter angelegt.

Am Morgen des 4. September wird die "Ruby" schließlich aus dem Hafen von Tromsø auf einen Ankerplatz vor der Küste geschleppt. Dort haben laut "Welt" oberflächliche Reparaturen stattgefunden, im litauischen Klaipėda soll das Schiff in die Werft. Aber die Behörden des baltischen EU-Staates verweigern ebenso die Einfahrt wie zuvor die schwedischen Häfen Göteborg und Uddevalla.

Schiff auf dem Weg nach Malta

Seit Montag heißt das Ziel des Schiffes Marsaxlokk im Südosten Maltas – unter dessen Flagge die "Ruby" fährt – begleitet von der norwegischen Küstenwache. Doch als das Schiff am Dienstag die Stadt Bergen und "diverse wichtige Nato-Basen an Norwegens Südwestküste passierte", so die "Welt", meldet die Crew den Totalausfall der Maschine. Im elektronischen Schiffs-Informationssystem AIS springt der Status des Frachters auf "driftend, manövrierunfähig" – nahe norwegischer Offshore-Ölfelder und an der Einfahrt zum Skagerrak, einem der meistbefahrenen Seegebiete der Welt.

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© rtl.de
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Ein Hochseeschlepper zieht die "Ruby" – mit nicht einmal sechs Stundenkilometer – schließlich weiter Richtung Mittelmeer. Am Donnerstagabend gegen 18 Uhr hat der Schleppverband die Nordsee durchquert und die "Ruby" liegt im Englischen Kanal vor Anker. Wie die Reise des Frachters weitergeht, interessiert inzwischen halb Europa. Und vielleicht Moskau. 

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