Unter welchen Umständen wurden Anne Frank und ihre Familie in ihrem Versteck in Amsterdam 1944 entdeckt und verhaftet? Forscher schienen plötzlich eine Antwort auf diese Frage zu haben: Das Team untersuchte 30 Theorien zum Fall Anne Frank. Ihr Ergebnis schlug hohe Wellen. Demnach sei es am wahrscheinlichsten, dass ein jüdischer Notar die Familie verraten habe.
"Der Verrat von Anne Frank": Kein Nachdruck, bis Autoren kritische Fragen beantwortet haben
Das wäre einer Sensation gleichgekommen. Dementsprechend groß war die Aufmerksamkeit um die Theorie. Doch nach Tagen der Kritik, wegen mutmaßlich unsauberer Forschung, distanziert sich der niederländische Verlag "ambo anthos" nun vorerst von seinen Autoren und stellt den Druck des umstrittenen Buches "Het verraad van Anne Frank" (Der Verrat von Anne Frank) zunächst ein, bis sich die Forscher zu einigen kritischen Fragen geäußert haben. Das berichten mehrere niederländische Medien.
Demnach erklärte der Verlag in einem Schreiben: "Es tut uns sehr leid, dass der Inhalt eine solche Reaktion hervorgerufen hat. Wir entschuldigen uns aufrichtig bei allen, die sich durch das Buch angegriffen fühlen."
Das Verlagshaus sei sich bewusst, dass es durch die internationale Veröffentlichung ins Schleudern geraten sei und das eine kritischere Haltung möglich gewesen wäre. "Wir warten auf die Antworten des Forschungsteams auf die aufgeworfenen Fragen und verschieben die Entscheidung über einen Nachdruck vorerst."
Das Buch war am 18. Januar erschienen. Darin präsentierte das Forscherteam um die Autorin Rosemary Sullivan die These, dass der jüdische Notar Arnold van den Bergh Anne Frank und ihre Familie verraten habe, die sich zwischen 1942 und 1944 in einem Hinterhaus in Amsterdam vor der Verfolgung der Nazis versteckte. Der stern berichtete.
Demnach habe Van den Bergh den Nationalsozialisten eine ganze Liste von versteckten Juden weitergegeben, um sich und seine Familie vor der Festnahme und der Deportation zu schützen. Das Forscherteam aus Historikern, Kriminologen und dem Ex-FBI-Agent Vince Pankoke erklärte, die These habe eine Wahrscheinlichkeit von 85 Prozent.
Forscher: Theorie "verleumderischer Unsinn"
Auch durch diese Bezifferung berichteten Medien weltweit über die Veröffentlichung. Doch schon bald kritisierten Experten das Buch. Wie der "Spiegel" berichtet, beschrieb der niederländische Historiker Bart Wallett die Theorie als "wackelig wie ein Kartenhaus". Sein Kollege Bart van der Boom bezeichnete sie als "verleumderischen Unsinn".
Auch der Forscher David Barnouw stufte die Ergebnisse gegenüber dem Sender "NOS" als reine Spekulation ein.
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Auch der "Anne Frank-Fonds", Rechteinhaber des Tagebuchs von Anne Frank stellte die Forschungsergebnisse infrage. "Wir hofften auf eine seriöse und faktenbasierte Recherche", so John D. Goldsmith, der Präsident des "Anne Frank-Fonds", gegenüber der Schweizer Zeitung "Sonntagsblick". "Doch die Art und Weise, wie da "geforscht" worden war, hat uns enttäuscht."
Das Forschungsprojekt sei nicht ergebnisoffen und nicht rein wissenschaftlich ausgerichtet gewesen, kritisierte Goldsmith. Für die aufgestellten Behauptungen würden die Belege fehlen. "Jetzt lautet die Kernaussage: Ein Jude verrät Juden. Das bleibt im Gedächtnis und das beunruhigt."
Quellen: nu.nl, nrc.nl, tzum.info, Der Spiegel, mit Material von DPA