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Antisemitismus-Eklat Chef des Documenta-Forums: "Freie Welt muss das ertragen" – Bund knüpft Förderung an mehr Einfluss

Abbau des kritisierten Kunstwerks auf dem Documenta in Kassel
Abbau des Großbanners "People's Justice" des Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel. Der Eklat um antisemitische Darstellungen in dem Werk werden Konsequenzen für die Documenta haben.
© Uwe Zucchi / DPA
Claudia Roth greift durch. Nach dem Antisemitismus-Skandal will sie sicherstellen, dass der Bund künftig wieder mehr Einfluss auf die Documenta hat. Derweil gibt es nur wenige Stimmen, die den Abbau des umstrittenen Großgemäldes kritisieren.

Der Vorsitzende des Documenta-Forums, Jörg Sperling, hat die Entfernung des als antisemitisch kritisierten Kunstwerks auf der Kasseler Kunstausstellung kritisiert. "Eine freie Welt muss das ertragen", sagte er. Der Antisemitismus-Vorwurf begleite die Documenta fifteen seit Anfang des Jahres. Durch das großformatige Werk "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sei das Thema nun "eskaliert". Unterdessen werden zunehmend Rufe nach einer Aufarbeitung des Skandals laut – inklusive Rücktrittsforderungen gegen die Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann.  Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) legte einen Fünf-Punkte-Plan vor, der dem Bund im Kern künftig mehr Einfluss auf die Weltschau zeitgenössischer Kunst einräumt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte an, der Documenta wegen des Eklats demonstrativ fernzubleiben.

"Olaf Scholz ist ein großer Fan der Documenta und hat in den vergangenen 30 Jahren wohl keine Documenta versäumt", sagte eine Sprecherin. "Er hat aber entschieden, die diesjährige Ausgabe nicht zu besuchen."  Der Kanzler habe den Gegenstand des Skandals, das Kunstwerk von Taring Padi, als "abscheulich" bezeichnet.

Documenta-Kuratoren entschuldigen sich für "die Schande"

Documenta-Generaldirektorin Schormann kündigte eine systematische Untersuchung der Kunstausstellung auf "weitere kritische Werke" hin an. "Dabei wird auch Ruangrupa seiner kuratorischen Aufgabe gerecht werden müssen", sagte sie in einem Interview der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen". Das indonesische Kollektiv Ruangrupa kuratiert die Documenta fifteen. Unterstützt werde die Gruppe nun von anerkannten Experten wie Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Am Abend entschuldigte sich Ruangrupa auf der Homepage der Documenta. "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken", heißt es dort. "Es ist unser Fehler. Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben."

Trotz dieser Entschuldigung: "Es ist nicht Aufgabe der Geschäftsführung, alle Werke vorab in Augenschein zu nehmen und freizugeben", betonte Schormann. "Das würde dem Sinn der Documenta widersprechen." Es könne daher auch nicht sein, die Kunst beispielsweise einem Expertengremium im Vorfeld zur Freigabe vorzulegen. Dies sei eine Kernaufgabe der Künstlerischen Leitung. Schormann kündigte eine Gesprächsreihe zu dem Thema an. Außerdem solle es einen "Begegnungsstand" am Friedrichsplatz in Kassel geben – mit der Bildungsstätte Anne Frank und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. An dem Platz war das Werk aufgestellt, bevor es verhüllt und am Dienstag schließlich abgebaut wurde.

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Umstrittenes Werk "auf politischen Druck hin" abgehängt

Das Werk sei "auf politischen Druck hin" abgehängt worden, kritisierte Documenta-Forums -Chef Sperling den Schritt. Es gehe in dieser Debatte um Politik, nicht um Kunst. Das Bild sei eine Karikatur und seiner Meinung nach von der Kunstfreiheit gedeckt. "Die Kunst hat ein Thema aufgebracht, das außerhalb der Kunst liegt: das Verhältnis von Palästinensern und Israelis. Dieses Problem kann die Kunst nicht lösen, das kann auch die Documenta nicht lösen."

Forderungen, die ausgestellten Kunstwerke hätten vorab überprüft werden müssen, lehnt Sperling kategorisch ab. "Das wäre Zensur." Angesichts der Menge der ausgestellten Objekte an mehr als 30 Standorten sei das zum einen nicht leistbar. Zum anderen widerspreche es der Idee der Documenta.

Roth: Rückzug des Bundes aus Aufsichtsrat "schwerer Fehler"

"Die Kunstfreiheit ist ein hohes Gut unserer demokratischen Gesellschaft, das ich immer verteidigen werde", so Kulturstaatsministerin Roth in einem Fünf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung des Eklats. Es gebe aber keine Kunstfreiheit ohne den Schutz der Menschenwürde. "Das ist die unverrückbare Grenze", so Roth in dem Papier, das der Nachrichtenagentur DPA vorliegt. Und weiter: "Von Beginn der Diskussion an habe ich immer sehr deutlich gemacht, dass es bei der Documenta keinen Antisemitismus wie auch keinen Rassismus und keine Formen der Menschenfeindlichkeit geben darf." Sie habe auf entsprechende Zusagen von Geschäftsführerin und Kuratoren-Kollektiv vertraut. "Dieses Vertrauen ist enttäuscht worden", so Roth.

Künftig sollen Verantwortlichkeiten "klar abgegrenzt und vereinbart werden". Damit will Roth "die Freiheit der Kunst und des kuratorischen Handelns" sicherstellen und gleichzeitig Verantwortung eindeutig festschreiben. Der Rückzug des Bundes aus dem Aufsichtsrat 2018 bei gleichzeitigem Festhalten an der Bundesförderung wird in dem Papier als "schwerer Fehler" bezeichnet. Das soll sich wieder ändern. "Eine finanzielle Förderung des Bundes soll deshalb zukünftig mit einer unmittelbaren Einbindung in die Strukturen der Documenta zwingend verbunden werden." Eine grundlegende Strukturreform der Ausstellung sieht Roth als Voraussetzung für künftige Bundesförderung. Sie werde den bisherigen Gesellschaftern vom Land Hessen und der Stadt Kassel vorschlagen, sich auf eine andere Struktur zu verständigen. Es habe sich gezeigt, dass die bislang vor allem lokale Verantwortlichkeit für die Documenta in einem Missverhältnis steht zu deren Bedeutung als eine der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen, kritisiert Roth.

Rücktrittsforderungen gegen Schormann werden lauter

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIF), der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck, forderte im "Kölner Stadt-Anzeiger" Konsequenzen für Documenta-Chefin Schormann: "Die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, muss unverzüglich zurücktreten oder vom Aufsichtsrat abberufen werden." Zuvor hatte sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, für personelle Konsequenzen ausgesprochen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, es gelte, "schonungslos aufzuklären, wie es zu diesem beschämenden Vorfall kommen konnte und wer wann für welche Entscheidungen konkret Verantwortung getragen hat". Das Wichtigste sei, dass daraus Konsequenzen gezogen würden. "Wer diese menschenverachtenden Ausfälle gutheißt, darf in Deutschland nicht die Verantwortung für ein international bekanntes Kulturevent tragen."

dho DPA AFP

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