Haiti "Seid Ihr bereit für die Apokalypse?"

Hölle Haiti. Leichen überall, es stinkt nach Verwesung. Plünderer marodieren, die Hilfe kommt nicht an. Haitis Botschafter in Berlin rechnet mit 50.000 Toten.

Schon die Begrüßung war entsetzlich: "Seid Ihr bereit, die Apokalypse zu sehen?", fragte ein Bewohner der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince Helfer und Berichterstatter. Wer es nicht ist, der sollte dieser Tage nicht in den Karibikstaat reisen. Das Erdbeben dort dürfte nach Einschätzung des Botschafters in Berlin, Jean Robert Saget, mindestens 50.000 Menschenleben gekostet haben. Es sieht aus wie nach einem Krieg - und so riecht es auch: Verwesung liegt allerorten in der Luft. Betroffen von den Erdbebenfolgen sind 3,5 Millionen Menschen, 300.000 von ihnen sind obdachlos.

Die Haitianer klagen über mangelnde Hilfe aus dem Westen, da die Hilfslieferungen nicht ankommen, was vor allem an der chaotischen Situation auf dem Flughafen von Port-au-Prince liegt. "Drei Tage und noch immer keine Hilfe. Ich verstehe einfach nicht, was da los ist", sagte ein verzweifelter Mann im Fernsehen und blickte zum Himmel. Geht der Blick auf die Erde, sieht man Plünderer die durch die Straßen ziehen. Ein UN-Mitarbeiter hat dafür sogar Verständnis: "Wenn Menschen innerhalb von 50 Stunden weder gegessen noch getrunken haben und dann einen zertrümmerten Lastwagen oder Supermarkt sehen, werden sie natürlich losgehen, um sich da was zu essen zu holen."

Spendenkonten

Mehr als 50.000 Menschen sind bei dem schweren Erdbeben in Haiti ums Leben gekommen. Unzählige sind obdachlos, verletzt und hilfsbedürftig. Wenn Sie für die Opfer der Naturkatastrophe spenden wollen, finden Sie hier eine Liste mit Hilfsorganisationen, die vor Ort die Bedürftigen unterstützen.

Die Stimmung der Bevölkerung ist unberechenbar

Den Vereinten Nationen war ein Lagerhaus geplündert worden - ein Depot, das bereits vor dem Beben vom Dienstag in dem Karibikstaat eingerichtet worden war. Es ist unklar, wieviel von den Vorräten von rund 15.000 Tonnen noch übrig ist. Auch zahlreiche Lebensmittelgeschäfte wurden ausgeräumt. Die UN stufen die Ernährungssituation von rund zwei Millionen Haitianern schon länger als prekär ein. Die noch nicht geraubten Lebensmittel vor Ort sollten nun schleunigst verteilt werden, sind aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Da auch drei Tage nach dem Beben viele Opfer noch keine Hilfe erhalten haben, spitzt sich die Sicherheitslage zu. Der Leiter der Schweizer Einsatzzentrale auf Haiti, Hans-Peter Lenz, sagte, die Helfer könnten sich nur noch tagsüber bewegen. Die Menschen würden immer verzweifelter. "Es ist deshalb abschätzbar, dass sich die Lage verschärfen wird, wenn keine Hilfe kommt." Eine Aussage des Helfers Eric Auguste verdeutlicht, wie unberechenbar die Lage ist: "Das hier ist ein Land, in dem man gar nichts vorhersagen kann - die Stimmung kann innerhalb von Minuten umschlagen. Man kann rein gar nichts als gegeben ansehen."

Bei Katastrophen fällt eigentlich den Vereinten Nationen die Aufgabe zu, die internationalen Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. Dies sei wegen der Verluste der Organisation derzeit aber kaum möglich. Beim Einsturz des UN-Gebäudes auf Haiti wurden mehrere Menschen getötet, unter anderem der Leiter der UN-Mission. 200 Mitarbeiter der Organisation werden vermisst. Erschwerend kommt für die Helfer hinzu, dass die Infrastruktur, darunter das Mobilfunknetz, zusammengebrochen ist.

Wer das Erdbeben überlebte, ist jetzt dennoch in Gefahr

Für viele Haitianer läuft die Uhr ab: In Port-au-Prince gab es am Freitag kaum sauberes Trinkwasser oder Nahrung. Aufgebrachte Überlebende türmten aus Protest gegen die Zustände hunderte Leichen zu Barrikaden auf. Insbesondere Kinder sind nach Angaben von Unicef von Krankheiten wie Typhus und Cholera, Malaria und Dengue-Fieber bedroht.

Es werden vor allem Ärzte und Krankenschwestern, aber bittererweise auch Leichensäcke dringend benötigt. Um die Masse der Verletzten medizinisch versorgen zu können, wollen die UN das nationale Fußballstadion des Landes in ein Lazarett verwandeln. "Wir prüfen diese Möglichkeit zusammen mit den haitianischen Behörden, um den internationalen Ärzteteams Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen", sagte Nothilfekoordinator John Holmes in New York. Höchste Eile sei geboten: "Viele Überlebende haben schwerste Verletzungen, komplizierte Brüche und zerschmetterte Gliedmaßen."

Für viele Verschüttete dürfte die dreitägige Verzögerung bereits den Tod bedeuten. Ein Mensch kann nur etwa drei Tage ohne Trinken überleben. In Haiti herrschen Tagestemperaturen um 30 Grad. Noch immer graben die Menschen mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden. Bereits die dritte Nacht in Folge verbrachten die meisten Einwohner von Port-au-Prince im Freien - aus Angst vor Nachbeben oder weil ihre Häuser zerstört sind.

Personensuche des Roten Kreuzes

Zahllose Menschen werden seit dem verheerenden Erdbeben in Haiti vermisst. Das Internationale Rote Kreuz gibt auf einer speziellen Web-Site die Möglichkeit, nach vermissten Verwandten und Freunden zu suchen.

Dort sind bisher bereits mehr als 14.000 Vermisste registriert, die Zahl der Einträge steigt weiter.

Ex-Präsident Aristide will zurück nach Haiti kommen

Unterdessen könnten auch politische Folgen drohen: Ex- Präsident Jean Bertrand Aristide plant, aus dem Exil in Südafrika zurück in die Heimat zu kehren. "Wir können es nicht erwarten, mit unseren Schwestern und Brüdern in Haiti wieder zusammen zu sein", sagte Aristide am Freitag in Johannesburg. Er und seine Frau seien bereit, unverzüglich heimzukehren und mit den Menschen in Haiti "ihr Leid zu teilen, das Land wieder aufzubauen", sagte der 57-Jährige. Angesichts der schrecklichen Ereignisse möchte er wie alle Haitianer in der Welt nach Hause, um zu helfen, sagte er, seine sichtlich erschütterte, fast weinende Frau neben sich.

Der ehemalige Arbeiterpriester wurde 1990 bei den ersten freien Wahlen des karibischen Inselstaates zum Präsidenten gewählt. Bereits im September 1991 wurd Aristide von Militärs gestürzt, 1994 wurde er mit Unterstützung der USA erneut als Präsident eingesetzt. 2004 musste Aristide dann angesichts bürgerkriegsähnlicher Unruhen und Skandalen sowie nach Intervention der USA und Frankreichs das Land verlassen. Der Politiker fand mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern Exil in Südafrika.

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ben/DPA/AFP

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