Das von einer der schwersten Flutkatastrophen seit Jahrzehnten heimgesuchte Pakistan kommt nicht zur Ruhe. Rund drei Wochen nach Beginn des Desasters drohen neue Überschwemmungen. Im Süden des Landes flüchteten binnen 24 Stunden rund 200.000 weitere Menschen vor den Fluten, wie pakistanische Behörden am Sonntag mitteilten. Besonders betroffen war die Provinz Sindh, wo die Wassermassen vier weitere Bezirke überschwemmten. Pakistan brauche deutlich mehr Hilfen als bisher veranschlagt, warnten die UN. Viele Pakistaner werfen der eigenen Regierung zu langsame Unterstützung vor. Das treibt viele Opfer in die Arme islamistischer Organisationen.
Durch das Hochwasser kamen bereits bis zu 1600 Menschen ums Leben. Straßen, Brücken und ganze Dörfer wurden zerstört, mehr als vier Millionen Menschen sind obdachlos.
In der Provinz Sindh wälzten sich die Fluten durch Reisanbaugebiete im Norden immer weiter vor. Sie durchbrachen Dämme, die den Wassermassen nicht standhielten. Einige Bewohner öffneten auch Deiche und Straßen, um die Fluten umzuleiten und ihre Häuser zu retten. Die Ortschaft Shahdadkot war am Sonntag praktisch menschenleer. Am Samstag waren hier Bewohner auf Lastwagen, Traktoren und Eseln vor den Fluten geflohen.
Islamisten nutzen Katastrophe für ihr Ansehen
Experten fürchten, dass islamistische Organisationen das Chaos nach der Katastrophe ausnutzen könnten. Die Regierung ist gezwungen, für die Entwicklung des Landes bestimmte Gelder für den Wiederaufbau umzuwidmen. Doch fehlende Mittel für Infrastruktur, Schulen und Sicherheitskräfte in ehemaligen Taliban-Hochburgen dürften dem Ansehen der Regierung schaden.
"Wir haben sie immer für Terroristen gehalten", sagte ein 45-jähriger Bauer zu den Extremisten. "Aber das stimmt nicht. Sie waren die Ersten, die uns geholfen haben." Andere machten ihrem Ärger über die pakistanischen Behörden Luft. "Mein Dorf steht unter Wasser, wir sind stundenlang in einem Ochsenkarren hergefahren", sagte eine Frau vor einem Erste-Hilfe-Zentrum der Regierung. "Und jetzt ist die Medikamentenausgabe geschlossen." Ihr Mann behalte keine Nahrung bei sich und habe starke Schmerzen. Viele Obdachlose leben zusammengepfercht in Schulen unter katastrophalen Hygiene-Bedingungen. Der Ausbruch von Seuchen droht.
In den kommenden Tagen rechnen die pakistanischen Behörden landesweit mit einer gewissen Entspannung. Dann dürften die letzten Hochwasserwellen in den Flüssen das Meer erreichen. Das UN-Flüchtlingswerk warnte dagegen, ein Ende sei noch nicht abzusehen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte mit Nachdruck sofortige und umfassende Hilfen. "Wir können nicht dastehen und zusehen, wie diese Natur- zu einer von Menschen gemachten Katastrophe wird", schrieb Ban in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Rundschau". Unterdessen stockte die Europäische Union (EU) ihre Hilfszusagen auf 200 Millionen Euro auf. Deutschland, Großbritannien und Schweden steuerten am meisten an Einzelbeiträgen bei, wie die EU mitteilte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird kommende Woche mit der pakistanischen Regierung über weitere Hilfen beraten.
Hochwasser schwächt ein instabiles Land
Die Flutkatastrophe hat ein ohnehin schon instabiles Land weiter geschwächt. Mindestens acht Millionen Menschen müssen mit sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln und Unterkünften versorgt werden. Die Wassermassen zerstörten in der pakistanischen Getreidekammer - den Provinzen Sindh und Punjab - die Ernte. Es ist die bisher folgenschwerste Naturkatastrophe, die Pakistan traf; dabei war das Land erst 2005 von einem verheerenden Erdbeben erschüttert worden.