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Stavern in Niedersachsen Der gigantische Moorbrand im Norden: Lösung nicht in Sicht - Wut auf Bundeswehr wächst

Rauchwolken steigen beim Moorbrand auf dem Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD 91) in Meppen auf. Auf einem Testgelände der Bundeswehr stehen seit etwa zwei Wochen riesige Flächen Moorland in Brand.
Rauchwolken steigen beim Moorbrand auf dem Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD 91) in Meppen auf. Auf einem Testgelände der Bundeswehr stehen seit etwa zwei Wochen riesige Flächen Moorland in Brand.
© Lars Schröer / DPA
In Niedersachsen brennt das Moor auf einem Bundeswehrgelände – und zwar auf einer so großen Fläche, dass die Rauchsäule aus dem Weltraum sichtbar ist. Anwohner dürfen die Häuser nicht verlassen, der Gestank reicht Hunderte Kilometer weit. Das Feuer wurde von der Bundeswehr durch eine Verkettung von Pannen ausgelöst. 

Sogar aus ganz großer Entfernung ist diese Katastrophe spürbar. Wer abends im Westen von Hamburg draußen im Freien ist, den beschleicht der Eindruck "Irgendwo brennt es." Es riecht nach Rauch. Doch hier in der Hansestadt brennt kein Feuer. Die Quelle des Geruchs liegt mehr als 230 Kilometer entfernt, bei Stavern in der Nähe von Meppen im westlichen Niedersachsen, auf einem Schießplatz der Bundeswehr. Dort brennt das Moor, und der Brand ist mittlerweile so mächtig, dass der Rauch vom Wind Hunderte Kilometer weitergetragen wird.

Seit etwa zwei Wochen qualmt es in der Gegend westlich von Bremen aus dem Boden. Fotos und Videos zeigen eine riesige Qualmwolke, der Deutsche Wetterdienst postete diese Woche ein Satellitenfoto auf Twitter. Die Rauchsäule ist sogar aus mehr als 800 Kilometer Höhe aus dem All zu sehen.

Etwa genauso groß wie die Rauchwolke ist das Problem, das die Niedersachsen mit dem Brand haben, der durch eine Raketenübung der Bundeswehr ausgelöst wurde. Denn es ist überhaupt nicht absehbar, wann er gelöscht werden kann.

Der NDR brachte am Mittwochabend eine Sondersendung, die ein Schlaglicht auf die ganze Misere warf. Bei ihrer Liveschalte berichtete Reporterin Judith Wolters, wie gerade Aschepartikel auf sie niederregneten. Von dem Rauch, dem die Menschen in der Gegend rund um die Uhr ausgesetzt sind, ganz zu schweigen. Seit Anfang September geht das so.

Die Menschen in Stavern sollen Türen und Fenster geschlossen halten und möglichst nicht ins Freie gehen. Einige dichten ihre Fenster extra ab, wie in dem Bericht zu sehen war. Hinzu komme der Stress, berichtete eine Anwohnerin im Fernsehen: Rund um die Uhr seien Feuerwehr und technisches Hilfswerk - dankenswerterweise - im Einsatz und fahren durch den Ort. Die Bewohner schreckten deshalb nachts oft aus dem Schlaf.

Moorbrand extrem schwer zu löschen

Diese Unannehmlichkeit nehmen die Bewohner etwa 1000 Einwohner zählenden Emsland-Gemeinde wohl gern in Kauf – würde das Feuer nur bald gelöscht. Doch daran ist derzeit kaum zu denken. Moorbrände gelten als extrem schwierig zu löschen. Ein Problem sei der Wind, der die Glut immer wieder anfache, berichtete Hans-Joachim Gressmann, langjähriger Leiter der Braunschweiger Berufsfeuerwehr im NDR. Doch viel schwieriger sei die Lage, weil es bei einem solchen Feuer buchstäblich im Boden brennt. Torf isoliere und sei wasserabstoßend,  "Das Löschwasser dringt nicht tief genug ein, um alle Glutnester zu erreichen. Man kann nicht die ganze Moorfläche unter Wasser setzen", sagte der Feuerwehrmann.

Geht das bis Mitte Oktober so weiter?

Helfen kann nach Einschätzung von Experten tagelanger Regen. Zwar ist für Freitag Niederschlag angesagt. Ob der reichen wird, um die Lage zu entschärfen, ist aber fraglich. Experten vor Ort sprachen in der "Osnabrücker Zeitung" davon, dass sich die Situation wohl erst Mitte Oktober entspannen werde. Immerhin gelang es den Einsatzkräften, Waldbrände oder ein Übergreifen des Feuers auf die angrenzenden Gemeinden zu verhindern. Eine zwischenzeitlich erwogene Evakuierung dieser Orte wurde wieder verworfen.

Es hätte also schlimmer kommen können – dennoch wächst die Wut auf die  Bundeswehr, die das Feuer bei Raketentests auf ihrem dortigen Übungsgelände ausgelöst hatte: Das Unglück nahm seinen Lauf, als Soldaten auf der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition (WTD 91), am 3. September bei einem Waffentest von einem Hubschrauber aus Raketen in das dortige Hochmoor abfeuerten. Eigentlich nichts Besonderes, auf diesem Areal werden immer wieder solche Schießübungen veranstaltet, und normalerweise werden Brände - laut der "Osnabrücker Zeitung" sind es etwa 80 bis 100 kleine Feuer pro Jahr - sofort gelöscht.

Doch die Brandgefahr ist dort im Moor nach dem extrem heißen Sommer besonders groß, die Löschraupe war nicht einsatzbereit, und ein Ersatzfahrzeug war gerade in der Werkstatt. Der Brand fing also an zu schwelen – bis Mittwochabend auf eine Fläche von 1000 Fußballfeldern.

Der Eingang zum Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD 91) in Meppen
Der Eingang zum Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD 91) in Meppen
© Stephan Konjer / DPA

850 Einsatzkräfte kämpfen gegen die Flammen – erschwert wird ihre Arbeit durch vermutete Munitionsreste, die in dem seit 1876 als Übungsgelände genutzten Moor liegen. Aus Sicherheitsgründen können die Feuerwehrkräfte das Moorgelände nicht überall betreten. Bislang schwelt der Brand ausschließlich auf diesem riesigen Bundeswehrgelände. Erfahrungen von einem unter ähnlichen Umständen ausgelösten Feuer auf diesem Areal im Sommer 2010 zeigen: So etwas kann Wochen dauern.

Eine ausgetrocknete Landschaft, Wind, wenig Regen und ein extrem großes brennendes Gebiet – hier kommt eine Menge Unheil zusammen. Es werde wohl noch mindestens ein bis zwei Wochen dauern, bis alle Glutnester erstickt sind, schätzt auch der Brand- und Katastrophenschutzexperte des niedersächsischen Innenministeriums, Klaus Wickboldt, in einer Stellungnahme gegenüber der DPA.

In der Zwischenzeit weitet sich der Brand zu einem Umweltdesaster aus. Der Naturschutzbund (Nabu) Emsland schätzt laut dem NDR, dass durch das Feuer bislang zwischen 500.000 und 900.000 Tonnen Kohlendioxid in die Luft gelangt sind. Das sei etwa die Menge, die 50.000 Bundesbürger zusammen im Schnitt pro Jahr verursachen.

Kritik an der Bundeswehr - darf so etwas wirklich "mal passieren"?

Nicht nur wegen der Umweltbelastung weitet sich der Brand zu einem Politikum aus. Die Einsatzkräfte in den betroffenen Gemeinden beklagten im NDR eine schlechte Informationspolitik der Bundeswehr. Noch am Dienstagabend habe sich der Krisenstab in Meppen über mangelnde Auskünfte beklagt, moniert die "Emder Zeitung". In einem Kommentar für die Donnerstags-Ausgabe bemängelt das Blatt die Haltung der Truppe zu der von ihr ausgelösten Katastrophe. In der Tat hatte sich ein Bundeswehr-Sprecher in den Medien mit den Worten zitieren lassen: "Gerade bei einer extremen Trockenheit wie in diesem Sommer kann so etwas schon mal passieren". Nachzulesen ist dieses Statement beispielsweise beim MDR.

In einer Bundeswehr-Pressemitteilung vom Mittwoch heißt es, von der Rauchentwicklung gehe keine Gesundheitsgefahr aus - und tatsächlich wurden nach Angaben des niedersächsischen Landesumweltministeriums an den Messstationen Südoldenburg und Oldenburg an zwei Tagen vorübergehend lediglich etwas höhere  Feinstaubwerte gemessen, Grenzwerte seien aber nicht überschritten worden. Auch überprüfe man, so die Bundeswehr,  intern, ob bei der Schießübung Vorschriften verletzt worden seien oder ob man die internen Brandschutzregeln ändern müsse. Außerdem hieß es, die Kosten für die Löscharbeiten übernimmt die Bundeswehr.

Warum Schießübungen trotz extremer Brandgefahr?

Dennoch bleibt eine Frage, die beispielsweise auch die  "Emder Zeitung" in ihrem heute in der Zeitung zu lesenden Ausgabe stellt: "Warum mussten unbedingt bei extrem trockener Witterung ein Raketentest  durchgeführt werden - obwohl bekannt war, dass das normalerweise bereitstehende Löschfahrzeug defekt war?"

Dieser Umstand erbost auch die Landespolitik. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte dazu in dieser Woche: "Wenn ich ehrlich sein soll: Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, nach diesem trockenen Sommer ausgerechnet im Moor Schießübungen zu veranstalten." Auch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) äußerte sich empört: "Wenn jetzt auch noch klar ist, dass das Löschfahrzeug nicht einsatzfähig war, dann ist es mehr als fahrlässig."

Der Grünen-Abgeordnete und frühere niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer stellte nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen die Verantwortlichen bei der Bundeswehr wegen fahrlässiger Brandstiftung und gab dazu dem NDR ein Interview. Auch er beklagte eine schlechte Informationspolitik. Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass die Staatsanwaltschaft "von Amts wegen" ermittelt. In Frage kämen verschiedene Delikte wie fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung, sagte ein Sprecher der Behörde in Osnabrück.

Die - normalerweise nicht medienscheue - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) äußerte sich bislang nicht zu dem Umstand, dass ihre Soldaten gerade ein Hochmoor abfackeln und der Qualm in weiten Teilen Deutschlands zu riechen ist - am Mittwochabend waren sogar die hunderte Kilometer entfernten Landkreise Dithmarschen, Steinburg und Pinneberg in Schleswig-Holstein betroffen, berichtet laut NDR die dortige Leitstelle West. Aber vielleicht schafft es der Rauch ja noch bis ins Verteidigungsministerium.

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