Khin Khin Pyone arbeitet seit sieben Jahren für Unicef in Myanmar, sie hat schon viel Elend gesehen. Doch das, was sie nach der Flut im betroffenen Irrawaddy-Delta gesehen hat, bringt die Katastrophenhelferin zur Verzweiflung.
"Als ich vor drei Jahren zuletzt in Latputta war, war es eine angenehme Stadt. Jetzt ist alles zerstört: Tempel, Schulen, Geschäfte. Ich zählte auf meinem Weg durch die Region sieben komplett zerstörte Dörfer. Alle Hütten waren zusammengebrochen. Am Straßenrand saßen Menschen, die sich mit Plastiktüten zu bedecken versuchten. Die Kinder waren nackt. Viele weinten, andere lagen bloß da.
Einige waren zu klein, um den Namen ihrer Eltern oder ihres Dorfes zu kennen. Niemand weiß, ob ihre Eltern noch leben. Manche sammelten mit Plastiktüten Wasser aus dem nahen Teich. Ich fragte mich, ob man es überhaupt trinken kann. Alle standen sichtbar unter Schock. Es war einfach schrecklich."
Keiner sieht das Drama
Auf einer Pressekonferenz, Welten entfernt in Berlin, versuchen die Vertreter des Bündnisses "Aktion Deutschland Hilft" (ADH), das Drama der Menschen in Myanmar ins Bewusstsein der Deutschen zu bringen. Ein schwieriges Unterfangen, wie es scheint. Knapp zwei Millionen Euro an Spenden sind bei ADH, einem 2001 gegründeten Bündnis von zehn deutschen Hilfsorganisationen, inzwischen eingegangen. Dem gegenüber stehen 128.000 Tote, die der Zyklon "Nargis" nach UN-Schätzungen hinterlassen hat. Bis zu 2,5 Millionen Menschen aus dem Katastrophengebiet haben alles verloren. Fast die Hälfte von ihnen sind Kinder. Über eine halbe Million Obdachlose drängen sich in mehr oder weniger improvisierten Notaufnahmelagern.
Allein 390 Tonnen Lebensmittel würden täglich gebraucht, um die schlimmste Not der Flüchtlinge zu lindern, sagt ADH-Geschäftsführerin Manuela Roßbach. Doch bislang stehen den Hilfsorganisationen nicht mal 300 Tonnen täglich zur Verfügung. Auch die Welternährungsorganisation FAO fürchtet um die Menschen in Myanmar. Das Land brauche dringend Reissamen und Dünger, um die Versorgung der Bevölkerung für den Rest des Jahres sicherzustellen. Die Bauern hätten ihre gesamten Vorräte aus der Ernte in März und April verloren, ebenso die Samen für die neue Aussaat, sagt FAO-Sprecher Diderik de Vleschauwer. "Es ist ein Wettlauf mit der Zeit." Und: Es sind einfach nicht genug Spenden da.
"Widrige Umstände sind schuld"
Nach Meinung des Berliner Psychologen Peter Walschburger gibt es dafür einen entscheidenden Grund: Mit ihrer absoluten Abschottungspolitik und dem Einreiseverbot für Ausländer in die Todeszone hat das Militärregime bislang erfolgreich verhindert, dass im Ausland das ganze Ausmaß des Elends nach der Flut zu sehen ist. Das Fehlen solcher aufwühlender Bilder aus Myanmars Katastrophengebiet habe die Spendenbereitschaft der Deutschen verhindert. Wissenschaftliche Studien würden bestätigen, dass der Mensch anderen in der Not helfen wolle. "Eine Identifikation mit den Opfern war aber ohne schnelle und authentische Bilder kaum möglich." Es habe der emotionale Kontext gefehlt.
Ihre Spende hilft
Aktion Deutschland Hilft, das Bündnis der Hilfsorganisationen, bittet dringend um Spenden für die Opfer in Birma / Myanmar:
Stichwort: Zyklon Birma / Myanmar Spendenkonto 10 20 30 Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 370 205 00 Spendenhotline: 0900 55 102030
Bei der Botschaft Myanmars in Berlin will man davon nichts wissen. Es gebe keine Abschottungspolitik, erklärt eine Mitarbeiterin. Sie versichert, das Einreiseverbot für ausländische Berichterstatter und Katastrophenhelfer in das betroffene Krisengebiet diene "allein dem Schutz der Ausländer, die sich in dem unwegsamen und immer noch schwer zugänglichen Gebiet großer Gefahr aussetzen" würden. Außerdem würde "alles menschenmögliche von der Regierung für die Menschen im Krisengebiet getan". 78.000 Tote gibt es nach Angaben der Regierung und 2,5 Millionen Obdachlose. Doch nicht die Militärs, sondern die "widrigen Umstände" seien Schuld daran, dass noch immer ganze Dörfer und unzählige Menschen ohne jede Hilfe auskommen müssten: Zu wenig Boote, der kommende Monsun, der hohe Wasserstand.
Militärs bleiben stur
Erklärungen, über die Rudi Terneden von Unicef nur den Kopf schütteln kann. "Unsere Katastrophenhelfer sind doch eigens dafür ausgebildet, in Krisengebieten und nach Naturkatastrophen mit den widrigen Umständen klar zu kommen. Die westlichen Hilfsorganisationen haben die notwendige Technik, um auch unwegsames Gelände zu bezwingen und natürlich können sie auch mit den Gefahren in Krisengebieten umgehen." Doch die Militärs bleiben stur. Ausländer bleiben draußen. Nur Einheimische dürfen ins Irrawaddy-Delta.
Und so erfährt in der westlichen Welt kaum jemand, was Khin Khin Pyone, die Katastrophenhelferin von Unicef, aus der Hölle zu berichten hat: "Ich suchte nach einem Kloster, wo Freunde aus der Stadt untergekommen waren. Insgesamt hatten hier etwa 10.000 Überlebende Zuflucht gefunden. Auch ich musste hier übernachten. Ich hatte ein Moskitonetz eingepackt, aber ich brachte es nicht fertig, es aufzuhängen. Denn niemand um mich herum besaß eines. Für den dreitägigen Aufenthalt hatte ich zehn Flaschen Wasser dabei. Ich konnte niemals so viel teilen, wie es nötig gewesen ware.
Es gibt keine Medikamente mehr
Die ganze Nacht über berichteten die Menschen von ihren Erlebnissen und von Leichen und totem Vieh, das im Fluss treibt. Am nächsten Morgen wachte ich von einem stechenden Geruch nach Urin und Fäkalien auf. Auf dem Tempelgelände gab es nur zwei Toiletten.
Vormittags fuhr ich ins Krankenhaus. Die Mitarbeiter hatten aus Plastikplanen ein provisorisches Dach gebaut. Jeden Tag kamen 300 bis 500 Patienten hierher. Doch es gab keine Medikamente und kein Verbandszeug mehr. Die Gesundheitsbehörden in Rangun und Unicef hatten per Hubschrauber Nachschub gebracht. Doch das Material war schnell verbraucht."
Man braucht viel Geld
Auf der Berliner Pressekonferenz versuchen die Hilfsorganisationen das ganze Dilemma deutlich zu machen. "Wenn nicht innerhalb der ersten zwei Wochen nach einer solchen Katastrophe substantielle Hilfe geleistet wird, erhöht sich die Zahl der Opfer dramatisch", erklärt Rudi Terneden von Unicef. Um zu verhindern, dass die Überlebenden nach ihrer Odyssee schließlich an Seuchen und Mangelernährung sterben, müssten dringend Strukturen geschaffen werden. Und dafür braucht man Geld. Viel Geld.
Terneden: "Doch viele Leute hier in Deutschland fürchten, ihre Spenden kämen nicht bei den Bedürftigen an, sondern landeten stattdessen in den Taschen der Militärs, die Myanmar beherrschen. Das ist für uns ein Riesenproblem."
Manuela Roßbach erklärt: "Ich habe Respekt vor der verantwortungsvollen deutschen Öffentlichkeit, die sicher gehen will, dass die Spende bei den Betroffenen ankommt. Ich kann Ihnen versichern, Ihre Spende kommt an - direkt in den Projekten der Bündnispartner." Mittlerweile würden weit über 1000 lokale Mitarbeiter und Helfer Tag und Nacht Hilfsgüter verteilen und die Verletzten versorgen. Khin Khin Pyone gehört dazu.