Dieser prunkvolle und wertvolle Ohrring zierte einst den Hals einer Wikingerfrau. Experten glauben, dass er dem Kaiser von Byzanz, das heutige Istanbul, gehörte. Der mächtige Herrscher des Oströmischen Reichs soll ihn als Dank an einen Kriegerhäuptling verschenkt haben.
Funde aus dem Mittelmeerraum sind in Skandinavien nicht ungewöhnlich, aber dieses prächtige Stück ist einzigartig. Angefertigt wurde es im 11. Jahrhundert und entdeckt wurde es von der Sonde eines Schatzjägers auf einem Feld in Westjütland, Dänemark. Die Fotos des dänischen Nationalmuseums zeigen, wie eine Restauratorin das Stück aufarbeitet und reinigt (siehe Fotostrecke). Danach kam es in die Wikinger-Ausstellung des Museums.
Der zweite Ring blieb verschollen
Nach dem Fund wurde das Feld akribisch abgesucht, aber leider fand sich der zweite Ohrring nicht. "Wir kennen weltweit nur zehn bis zwölf weitere Exemplare diese Art, und wir haben noch nie eines in Skandinavien gefunden", sagte Peter Pentz, Inspektor am Nationalmuseum Dänemark. "Wir hatten erwartet, ein so schönes und unschätzbares Schmuckstück zusammen mit einem großen Goldschatz oder in einem königlichen Grab zu finden und nicht auf einem Feld."
Der 54-jährige Frants Fugl Vestergaard hatte den Ring gefunden. Das Feld hatte er schon mehrfach durchkämmt. Er sagte dem Nationalmuseum, dass sein Detektor einen schwachen Piepton von sich gab, dann fasste er einen Erdklumpen an, zerdrückte ihn und hatte den Ohrring in der Hand. "Dann blieb die Zeit für mich stehen. Ich wurde demütig und fragte mich, warum ich dieses Stück finden durfte. Man sehnt sich immer danach, so etwas Schönes zu finden, einen Spitzenfund, und dann hat man ihn plötzlich in den Händen. Das ist völlig unvorstellbar."
Wie der Fund dorthin kam, ist unbekannt. Aber da er nicht von einem Krug oder einer Schatulle geschützt war, wird er nicht absichtlich dort deponiert worden sein. Der Schmuck besteht aus einer halbmondförmigen Goldplatte, die in einen Rahmen von Goldfäden eingefügt ist. Goldkugeln und Goldbänder verzieren den Anhänger. Die größte Besonderheit ist die Emaille. Ihre Herstellung wurde nur an wenigen Orten beherrscht. Hierzu wurde Glas zu Pulver gemahlen und dann gemeinsam mit Metall verschmolzen. Die Emaille zeigt zwei stilisierte Vögel und eine Pflanze, die den Baum des Lebens symbolisiert. Diese Art von Schmuck ist aus Ägypten und Syrien sowie aus Byzanz und Russland bekannt. Das Objekt war so wertvoll, dass man es nicht kaufen konnte. Solche Stücke wurden für hochgestellte Personen hergestellt und nur als Gaben weitergegeben.
Weg über die Flüsse
Fragt sich nur, wie es vom Mittelmeerraum nach Skandinavien kam? Die Wikinger waren nicht nur Räuber, Sklavenjäger und Krieger sondern vor allem Händler. Im Mittelalter bereisten sie die bekannte Welt. Ins Mittelmeer gelangten sie aber nicht über den bekannten Seeweg durch die raue Biskaya und die Straße von Gibraltar, sondern Flüsse führten sie durch Osteuropa bis ans Schwarze Meer. Der Araber Al-Mas'udi nannte die Wikinger die "Meister des Schwarzen Meeres" und stellt fest, dass sie "ihre Schiffe mitbrachten", wenn sie Handel trieben.
Die Leibwächter des Kaisers
Auf dem Weg dorthin gründeten sie die Kiewer Rus. In Byzanz dienten die Kämpfer dem Kaiser von Konstantinopel im Krieg und auch als Leibgarde. Sie führten damit eine lange Tradition fort. Schon die ersten Kaiser Roms ließen sich nicht allein von der Prätorianergarde schützen, für ihren unmittelbaren Schutz heuerten sie Germanen aus dem Norden an. Die Leibgarde sollte aus Fremden bestehen, die keine Verbindung zur römischen Gesellschaft hatten. Die Leibwächter aus dem Norden galten als unbestechlich. Sie waren bereit, auch in aussichtsloser Lage für ihren Herren zu kämpfen und ihm in den Tod zu folgen. Diese Tradition wurde von den Nordmännern fortgesetzt. Das geheimnisvolle und düstere Massaker von Sandy Borg, bei dem eine ganze kleine Stadt niedergemetzelt wurde, soll von Heimkehrern begangen worden sein, die nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches wieder in den Norden kamen.
Die Warägergarde
Die Kaiser von Byzanz hatten nicht nur eine Leibwache, sie heuerten die gewaltigen Kämpfer an, um die eigenen Truppen zu verstärken. Die Warägergarde bestand vom zehnten bis zum vierzehnten Jahrhundert. Die erste Garde stand bereits 874 im Dienst. In Byzanz erkannte man sie an den langen Haaren und einem roten Rubin im Ohr. Auf ihrer Brust trugen sie einen verzierten Drachen. In der Schlacht sollte die Garde den entscheidenden Schlag führen. Chronisten schrieben, dass die "Skandinavier im Aussehen als auch in der Ausrüstung erschreckend anzusehen waren. Sie griffen mit rücksichtsloser Wut an und kümmerten sich weder um den Verlust von Blut noch um ihre Wunden". Bekannt ist eine Überlieferung ihrer Rechtsgebräuche. Ein Waräger versuchte, eine Thrakerin zu vergewaltigen. Doch sie wehrte sich und spießte den Krieger mit einem Speer auf. Die Kameraden des Toten suchten keine Rache bei der Frau, sondern priesen ihren Mut. Dann überreichten sie ihr den Besitz des Mannes, den sie im Kampf gewonnen habe.
Als die Kreuzfahrer Byzanz plünderten, leisteten die Waräger verbissenen, doch letztlich vergeblichen Widerstand auf den Mauern der Stadt. So ein Dienst für den Kaiser wurde nicht nur mit Sold bezahlt. Die enge Verbindung eines Wikingerstammes und dem Kaiserhaus wurde durch Gaben geflochten. Gaben waren nicht einfach ein Geschenk, sie waren eine Ehre und verpflichteten beide Seiten. Je herausragender die Gabe, desto enger das Band. So kann man erklären, wie ein so wertvolles Schmuckstück auf einen Acker auf Jütland kam.
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