Es muss ein bisschen so sein, als wäre ständig ein kleiner, unsichtbarer Pumuckl am Werk. Kaum lässt man etwas aus den Augen, ist es auch schon verschwunden. Werkzeug, Kamera, wissenschaftliches Gerät oder was immer nicht niet- und nagelfest ist: "Man dreht sich um - und plötzlich ist es weg", beschreibt der Astronaut Thomas Reiter den Kampf gegen den "Kobold" Schwerelosigkeit im All und auf der Internationalen Raumstation ISS. Ausgerechnet seine Lieblings-CD habe er bei einem Flug so verloren. "Sechs Wochen später habe ich sie an einem Filter wiedergefunden." Denn meistens sammeln sich die Dinge irgendwann dort, wo auch die Luft hinströmt: an den Ventilationsgittern.
Weltraum-Siedlung in Fußballfeldgröße
An der International Space Station (ISS) beteiligen sich Amerikaner, Russen, Kanadier, Japaner und Europäer. Die Amtssprachen rund 400 Kilometer über der Erde sind Englisch und Russisch. 1998 flog das erste Modul ins All, heute ist die ISS um vieles größer als die legendäre russische Mir. Sollte die Weltraum-Siedlung mit Labors und Wohneinheiten je fertig werden, wird sie Fußballfeldgröße haben und irdisch 450 Tonnen wiegen. Mit 28.000 Stundenkilometern rast sie in 90 Minuten um die Erde. Ihre Masse und Geschwindigkeit sowie die Erdanziehung halten sie in der Umlaufbahn, erläutert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen.
Luxuriöse 100 Quadratmeter Wohnfläche haben die derzeit drei ständigen Astronauten. Von 2009 an wird es enger. Dann sollen sechs Raumfahrer die ständige Crew bilden, darunter ein Europäer, der Belgier Frank de Winne. Die Atmosphäre entspricht mit 80 Prozent Stickstoff, 20 Prozent Sauerstoff und einem Bar Druck weitgehend der irdischen, die Luft ist aber viel sauberer: Pollen, Staub, Abgase - im Orbit kein Thema oder durch Filter entfernt. Trotz 22 Grad Wärme leiden die Astronauten leicht an kalten Füßen: Das Herz pumpt das Blut mangels Schwerkraft verstärkt in Oberkörper und Kopf.
Kohlensäure ist verboten
Essen, Trinken, Zähneputzen - alles will neu gelernt sein. Teller werden mit Gummibändern am Tisch befestigt, der Löffel muss Tempo haben, wenn er zum Mund geführt wird, sonst hebt die darauf liegende Speise ab. Beim Trinken sollte kein Tropfen in die Luft geraten, er könnte die Elektronik stören. Cola und Getränke mit Kohlensäure sind tabu. Die Luftblasen finden hier nicht den Weg nach oben - und könnten den Magen blähen.
Auch Big Brother lässt grüßen. Die Arbeit der bis zum Abflug der Raumfähre "Atlantis" zehnköpfigen Weltraum-WG aus neun Männern und ISS-Kommandantin Peggy Whitson wurde vielfach live auf Nasa-TV übertragen. So sah die Internet-Gemeinde etwa, als die ISS-Chefin erstmals ihre rot-weiß geringelten Socken trug, ein Geschenk zu ihrem 48. Geburtstag am 9. Februar.
Ein Wintergarten im Weltall
Die offizielle Arbeitszeit beträgt sechs Stunden plus zwei Stunden Pflichttraining gegen Muskel- und Knochenschwund. Von einem Achtstundentag könne aber keine Rede sein, sagt Esa-Astronaut Reiter. Der DLR-Vorstand für Raumforschung lebte bei zwei Missionen insgesamt ein Jahr auf Mir und ISS. "Nach dem Dienstplan hat man acht Stunden Schlaf - in der Praxis sind es sechs." Am Wochenende aber entspannen sich die Raumfahrer mit Musik, Lesen, Telefonieren, E-Mail-Schreiben - oder Gucken ins All. Die ISS hat Bullaugen, 2009 soll eine Art Wintergarten hinzukommen. Die in Italien gebaute Cupola, eine verglaste Kuppel, soll einen gigantischen Rundblick gewähren.
Zum Schlafen aufgehängt
Kochen und Putzen - Hausarbeit gibt es auch im Orbit. Mittags wärmt der Küchendienst Fertigmenüs für alle auf, samstags rückt die Besatzung Schmutz und Schimmel als Putzkolonne zu Leibe. Putzkübel, Betten, Duschen, Schuhe - diese irdischen Dinge sind unbrauchbar. Hier wird geschwebt und nicht gelaufen, zur Nachtruhe hängt man sich wie eine Fledermaus auf. "Ich habe da hervorragend geschlafen", sagt Reiter. "Man spürt kein Eigengewicht, wird nur von Schlafsack gehalten - ein angenehmes Gefühl, der Körper ist total entspannt." Es gibt aber auch Schlafkabinen - mancher vermisst zu sehr das Liegegefühl. Ohrenstöpsel sind ratsam. Die Geräte sorgen für einen steten Geräuschpegel, auf der Mir soll es richtig laut gewesen sein.
Waschen fällt flach. Gebrauchte Kleidung wird mit dem Müll im Raumtransporter gen Erde geschickt und verglüht. Auch Duschen ist gestrichen. Versuche mit einer Absaugeinrichtung scheiterten, das Wasser sammelte sich in Ohren, Augen und Nase und drohte die Astronauten eher zu ersticken als zu reinigen. So möchte der Deutsche Hans Schlegel nach zwei Wochen im All: "Erst mal meine Familie begrüßen und dann eine Dusche nehmen." Seit heute befindet sich der Astronaut auf dem Rückweg zur Erde. Die Raumfähre "Atlantis" hat von der Weltraumstation abgelegt und wird die Besatzung am Mittwoch zurück auf die Erde bringen.