Amerikas erste Hochkultur Die Stadt des heiligen Feuers

Sie gehörten zu den ersten, die eine eigene Schrift besaßen, sie betrieben kaum Landwirtschaft und bauten monumentale Pyramiden: die Menschen aus der peruanischen Stadt Caral. Dort entstand vor 5000 Jahren Amerikas erste Hochkultur.

Vor rund 5000 Jahren erblühten in Mesopotamien, Ägypten, Indien und China die ersten Ur-Zivilisationen. In Amerika dagegen entstand die erste Stadtgesellschaft mit den Olmeken in Mexiko erst mehr als 1000 Jahre später - so lautete lange Zeit die gängige Lehrmeinung. Seit 1994 tauchen jedoch immer mehr archäologische Fundstücke auf, die diese Theorie in Frage stellen. Mittlerweile steht für viele Archäologen fest: Nicht die frühen Mexikaner, sondern die Peruaner hatten die älteste urbane Zivilisation auf den amerikanischen Kontinenten - und zwar zur gleichen Zeit wie die Mesopotamier, Ägypter, Inder und Chinesen.

Die Hauptstadt dieser Hochkultur war Caral, die "Stadt des heiligen Feuers", berichtet das Wissenschaftsmagazin "bild der wissenschaft" in seiner März-Ausgabe. Sie lag im Tal des Rio Supe im Nordwesten Perus und hatte ihre Blütezeit nach bisherigem Wissen etwa von 2900 bis 1800 vor Christus. Seit mittlerweile fast 12 Jahren legt ein kleines Team um die peruanische Archäologin Ruth Shady vorsichtig die Reste der knapp 5000 Jahre alten Bauwerke frei. Dabei kommen nicht nur architektonische Schätze zum Vorschein, sondern auch immer mehr Details über das Leben in der vergessenen Gesellschaft.

19 Meter hohe Pyramiden

So war die Stadt beispielsweise in zwei Bezirke aufgeteilt: In der so genannten Oberstadt - in der vermutlich Priester und andere bedeutende Persönlichkeiten lebten - befinden sich mehrere pyramidenartige Monumentalgebäude, von denen die Archäologen bisher sechs ausgegraben haben. Die so genannte größere Pyramide, die "Pirámide Mayor", ist 19 Meter hoch und entstand etwa zur selben Zeit wie die Cheops-Pyramide in Ägypten.

Shady glaubt, dass es sich bei diesen Bauten um eine Mischung aus Tempel und Markt gehandelt haben muss: "Das waren öffentliche monumentale Gebäude, wo rituelle Opferzeremonien abgehalten, das begehrte Handelsgut Salz zerrieben und bestimmte Produkte verkauft oder gehandelt wurden", erklärt sie.

Was den Baustil der Pyramiden anging, waren die Bewohner von Caral offenbar Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen: Etwa fünfmal im Lauf ihrer 1100-jährigen Geschichte wurden in den Gebäuden größere Umbauten durchgeführt - und dabei jedes Mal Farbe, Ausrichtung und Stil verändert. Auch bei den Villen in der Oberstadt bevorzugten die Peruaner eine aufwändige Architektur und verzierten die Räume mit Ecksteinen und schmückendem Tonverputz.

Reger Handelsverkehr zwischen den Städten

Die Wohnkomplexe der Unterstadt, in der wahrscheinlich Händler, Handwerker und Plantagenarbeiter lebten, waren deutlich einfacher gehalten. Doch auch diese Stadtbezirke hatten ihren Bewohnern einiges zu bieten: So gab es beispielsweise ein großes Amphitheater, das die Archäologen ebenfalls bereits freigelegt haben. Solche Anlagen finden sich nicht nur in Caral selbst, sondern auch in der Umgebung, die vonden Einheimischen "Norte Chico" (kleiner Norden) genannt wird. Bekannt sind mittlerweile 42 Tempel- und Stadtanlagen, 18 davon ebenfalls im Tal des Rio Supe.

Zwischen den Städten herrschte ein reger Handelsverkehr, der sich möglicherweise sogar bis ins Amazonasgebiet und ins heutige Ecuador erstreckte. Verkauft und getauscht wurden wohl vor allem Fische und Meeresfrüchte von der Küste sowie Baumwolle, Baumwollprodukte und Schilf aus dem Inland, berichtet "bild der wissenschaft".

Geknotete Baumwollschnüre dienten als Schrift

Die wohl spektakulärste Entdeckung machten die Forscher im Frühjahr 2005: Sie fanden ein Quipu, ein Bündel Baumwollschnüre mit vielen Knoten, das vermutlich als Schrift diente. Solche Knotenschriften waren bislang nur aus der um 1400 nach Christus entstandenen Inkakultur bekannt. Die Caral-Knotenschrift ist jedoch mehr als 4000 Jahre älter und damit fast so alt wie die sumerische Keilschrift, die bislang älteste bekannte Schriftform.

1800 verließen die Caraler ihre Stadt

Intensive Landwirtschaft gab es dagegen in Caral wahrscheinlich nicht, ebenso wenig wie Keramik - beides typische Kennzeichen einer frühen Hochkultur. Warum das so ist, gehört zu den Rätseln um Caral, nach deren Lösungen die Archäologen intensiv suchen. Ebenfalls unbekannt ist, warum die Bewohner ihre Stadt etwa im Jahr 1800 vor Christus verlassen haben - nachdem sie die Gebäude und einige wertvolle Gegenstände mit Schilf und Erde versiegelten. Möglicherweise, so einige der Vermutungen, veränderte sich das Klima oder den Alt-Amerikanern ging der Nachwuchs aus.

Diesem rätselhaften geregelten Rückzug - und der Tatsache, dass es in der Stadt nichts gab, was Grabräuber angezogen hätte - haben es die Archäologen jedoch zu verdanken, dass noch so viele Gebäude und Gegenstände so gut erhalten sind. Eine weitere wichtige Rolle spielte dabei der Glaube der heutigen Bevölkerung. Shady erklärt den Zusammenhang so: "Die Campesinos - die Bewohner der umliegenden Dörfer - haben Ehrfurcht vor Caral und die Stätte deshalb nicht betreten. Sie glauben, dass die Geister ihrer Vorfahren, die sich dort herumtreiben, jede respektlose Annäherung bestrafen."

DDP
Ilka Lehnen-Beyel/DDP

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