Es ist die Geburtsstunde des ersten modernen Antibiotikums: Der Forscher Alexander Fleming kommt am Montag, dem 3. September 1928, aus dem Urlaub in sein Londoner Labor zurück. Ein blau-grüner Schimmel hat sich in einer Petrischale mit Bakterien breitgemacht. Der spätere Nobelpreisträger erkennt, dass sich die Bakterien um den Pilz herum aufgelöst haben. Er züchtet das Gebilde und stellt fest, dass ein Extrakt des Pilzes eine ganze Reihe von Keimen töten kann. Fleming legt damit den Grundstein zur Bekämpfung lebensbedrohlicher Krankheiten. So erzählt der Kurator des Alexander Fleming Laboratory Museums am Londoner St Mary’s Hospital, Kevin Brown, die Geschichte der Entdeckung des Penicillins vor 75 Jahren.
Nach wie vor ein sehr wichtiges Antibiotikum
Auch heute ist Penicillin nicht aus den Kliniken wegzudenken. "Es ist nach wie vor ein sehr wichtiges Antibiotikum", sagt Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (Nürnberg). Der Wirkstoff verhindert den Aufbau von Zellwänden der Bakterien, Erreger wie Streptokokken können nicht mehr wachsen und werden zerstört. Menschliche Zellen greift er kaum an. Auch wenn sich bei Infektionen wie etwa Blutvergiftungen andere, chemisch ähnliche Antibiotika als geeigneter erwiesen haben: "Penicillin und seine neueren Abkömmlinge spielen in der Behandlung der gleichen Krankheiten wie zu Beginn weiter eine Hauptrolle", sagt der Professor. Dazu zählen Atemwegsinfekte und Scharlach ebenso wie die durch eine Impfung selten gewordene Diphtherie und die Geschlechtskrankheit Syphilis.
Flemings Ruhm ist nicht unumstritten
Der Schotte Fleming wurde für seine Entdeckung geadelt und erlangte Weltruhm, obwohl darüber in der Fachwelt viel diskutiert wurde. "Genau genommen gab es zwei Geburtsstunden des Penicillins", sagt Sörgel. Fleming hatte zwar das Potenzial des Pilzes erkannt, ihm war es aber nicht gelungen, den bakterientötenden Wirkstoff daraus in reiner Form und größerer Menge herzustellen. Dies schafften die Wissenschaftler Ernst Boris Chain und Howard Florey, die sich erst von 1939 an in Oxford dem Schimmelpilz widmeten. Zusammen mit Sir Fleming teilten sie sich 1945 den Nobelpreis für Medizin.
Anfang 1941 suchte man Mittel gegen Infektionskrankheiten
"Chain und Florey waren unter dem Eindruck des drohenden Krieges auf der Suche nach Waffen gegen Infektionskrankheiten", berichtet Sörgel. Anfang 1941 wurde der erste Patient mit Penicillin behandelt. Durch das Interesse des US-Militärs wurde das Mittel anschließend im großen Stil in den USA produziert - der Siegeszug des Medikaments begann.
Immer mehr Resistenzen
"Rund zehn Klassen an relevanten Antibiotika gibt es zurzeit", sagt Sörgel. Sie alle töten Bakterien unterschiedlichster Art oder verhindern deren Vermehrung. Sie greifen Zellwände, den Stoffwechsel oder die Erbsubstanz der Bakterien an. Die wirksamen Waffen gegen Infektionen drohen jedoch stumpf zu werden: Lebensbedrohliche Keime werden zunehmend resistent gegen Antibiotika. Als Grund nennt Sörgel unter anderem den zu frühen eigenmächtigen Abbruch der Antibiotikatherapie durch Patienten oder unkritischen Einsatz auch bei Bagatellkrankheiten.
Entwicklung vieler Antibiotika nicht rentabel
Dennoch gibt es kaum neue Klassen von Antibiotika. Zuletzt wurde 2001 der Wirkstoff Linezolid in Deutschland zugelassen, die erste wirkliche Innovation unter den antibiotisch wirksamen Substanzen seit rund drei Jahrzehnten. "Es ist finanziell und zeitlich sehr aufwendig, einen wirklich neuen Wirkmechanismus zu finden", erklärt Sörgel. "Daher ist die Forschung an neuen Antibiotika für die pharmazeutische Industrie oft nicht attraktiv genug." Die Entwicklung vieler Antibiotika sei früh wieder eingestellt worden.
Unterschiedliche Jubiläumstage
Das Londoner Museum feiert Fleming (1881-1955) mit einem Tag der offenen Tür und besonderen Vorlesungen. Als tatsächlicher Jubiläumstag für die Entdeckung des Penicillins werden unterschiedliche Termine gehandelt. Doch Kurator Brown ist sicher, dass es der 3. September 1928 war.
Christiane Löll