Nach Pinguin-Raub Fritzis einsames Klagelied

  • von Eva Wolfangel
Von Babe, die vor fünf Wochen aus dem Stuttgarter Zoo verschwunden ist, fehlt weiterhin jede Spur. Die Experten gehen inzwischen davon aus, dass das Pinguinweibchen nicht mehr lebt. Aber Babes Verehrer Fritzi hat seine Liebste noch nicht aufgegeben. Denn Pinguine sind treu.

Fritzi steht allein in der Ecke. Nur manchmal reckt sich der zierliche Brillenpinguin in die Höhe, schlägt mit den Flossen und stößt laute Schreie aus, die dem Wiehern eines Esels ähneln. Er ruft nach seiner Freundin Babe, die am 26. Februar am helllichten Tag aus dem Stuttgarter Zoo, der "Wilhelma", verschwunden ist. "Er hofft, dass sie durch seine Rufe zum Nest zurückfindet", erklärt Vogelspezialist Günther Schleussner das merkwürdige Verhalten. Auch wenn Fritzis Artverwandte seit Generationen in Zoos leben, hat er die Natur im Blut. In Südafrika, der Heimat der Brillenpinguine, kommt es immer wieder vor, dass sich ein Partner bei der Jagd am Strand verläuft. "Deshalb ruft er so laut", sagt Schleussner. "Es geht darum, weite Distanzen zu überbrücken und andere Geräusche, wie beispielsweise das laute Schnattern von Möwen, zu übertönen."

Kaum noch Hoffnung

Aber Babe scheint die Lockrufe nicht zu hören. Vermutlich wurde sie von einem Besucher entführt. "Sie wird wohl nicht mehr zurückkommen, da muss man realistisch sein", sagt Schleussner. Der Vogelkundler hat lange gehofft, dass Zeitungsberichte und Fahndungsplakate den Entführer erreichen. Die öffentliche Anteilnahme ist nach wie vor hoch, immer wieder fragen Besucher nach dem Schicksal des Pinguins. Kinder haben Fahndungsplakate geklebt, Wilhelma und Polizei haben nach Zeugen gesucht. Alles ohne Erfolg.

Einziger Trost für die Wilhelma-Besucher: Auch in der freien Natur werden Pinguine geraubt. "Das Leben eines Pinguins ist gefährlich", erklärt Günther Schleussner. Wenn Männchen und Weibchen abwechselnd zum Fischen ins Meer gehen, warten viele Feinde auf sie: Haie und andere große Raubfische, Robben und Seelöwen haben es auf die etwa 30 Zentimeter kleinen Vögel abgesehen. Immer wieder mal kommt ein Pinguin nicht von der Jagd zurück. Weil sie aber streng monogame Tiere sind, suchen sie sich nicht gleich einen neuen Gefährten - sie warten und rufen, wenn es sein muss, tagelang.

Fritzi sucht Kontakt beim Pfleger

Fritzis einsames Rufen dauert nun schon Wochen. Aber es wird langsam weniger. "Er sieht wohl ein, dass Babe nicht zurückkommt", sagt Schleussner. Pinguine verfügen zwar nicht über ein dauerhaftes Erinnerungsvermögen wie Menschen, den Verlust spürt Fritzi zurzeit aber noch. Auch Tierpfleger Gerhard Popp bestätigt die Trauer des Pinguins. Zur Fütterung ist Fritzi immer der erste der 54 Brillenpinguine der Wilhelma, der dem Pfleger entgegengewatschelt kommt. Oft springt er auf seinen Schoß. "Er sucht Kontakt", beschreibt Popp Fritzis Verhalten, "man merkt richtig, dass ihm etwas fehlt."

Schließlich war Babe das erste Weibchen, dem Fritzi schöne Augen gemacht hatte. Die Erste, die er in seine Höhle einlud. Beide sind gerade geschlechtsreif geworden und hätten in der Höhle vielleicht ihr erstes Ei gemeinsam ausgebrütet - schön im Wechsel. Denn anders als die meisten Vogelarten haben Pinguine eine gerechte Rollenverteilung: Gebrütet und gejagt wird abwechselnd. "Während bei Hühnern und Enten die Sache für den Mann erledigt ist, wenn er kopuliert hat, führen Pinguine eine mustergültige Dauerehe", so Schleussner. Das hat nichts mit Romantik zu tun: Da es sehr aufwendig ist, den Nachwuchs aufzuziehen und zu ernähren, werden dafür beide Elternteile dringend gebraucht. Sonst wären die Jungen während der Jagd stundenlang allein. Hormone sorgen dafür, dass beide das Bedürfnis haben, zu brüten und für die Jungpinguine zu sorgen. Nur Gänse übertreffen dies noch: Sie bleiben auch außerhalb der Brutzeit und oft das ganze Leben ein Paar.

Unfreiwilliges Singledasein

Die Brutzeit endet jetzt. Doch Fritzi wird sich keine neue Freundin suchen, sondern ein "klassisches Singledasein" führen, wie Kurator Schleussner prophezeit. Er wird sich in den kommenden Wochen mausern, sich also ein neues Gefieder zulegen, und sich dann der Vorratshaltung widmen, um für die nächste Brutsaison gewappnet zu sein. Aber auch die Paare unter den Pinguinen gehen in dieser Zeit getrennte Wege, ähnlich wie Störche, die im Winter tausende Kilometer voneinander entfernt sein können. Aber sie finden sich zur nächsten Brutzeit wieder. "Immer die gleichen Pinguine verpaaren sich im Frühling erneut", sagt Schleussner. Sie kehren zurück zur Höhle, wo sie ihre Eier ausgebrütet hatten und treffen sich dort "zufällig" wieder.

Auch Fritzi wird im Oktober, wenn in seiner Heimat der Frühling beginnt, zu seiner Höhle zurückkehren. "Für ihn ist die Bruthöhle trotz der schlimmen Ereignisse mit positiven Erinnerungen verbunden", sagt Schleussner. "Er hat ein Nest erobert und eine Partnerin gefunden, die das Nest attraktiv fand." Fritzi wird das Nest noch ein wenig auspolstern und es mit Heu gegen die Kälte isolieren. Höchstwahrscheinlich ohne Babe, dafür mit einem anderen Pinguin-Weibchen. Auch Pinguintrauer hat mal ein Ende.

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