Ölpest im Golf von Mexiko Problem erkannt - und unter die Oberfläche verbannt

Eigentlich sollen sie Hilfe im Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexiko bringen: Seit dem Wochenende werden Chemikalien auch in der Tiefe des Meeres eingesetzt. Doch Wissenschaftler befürchten, dass sie das Problem nur verlagern - und die Unterwasserwelt massiv zerstören.

Es sprudelt noch immer in 1500 Metern Tiefe im Golf von Mexiko. Zwar hat der britische BP-Konzern an diesem Wochenende erstmals Fortschritte im Kampf gegen die Ölpest gemacht und erfolgreich Öl durch ein langes Rohr vom Meeresboden abgesaugt. Allerdings ist um den Einsatz von Chemikalien ein Streit entbrannt. Wissenschaftler warnen, dass die Effekte, die diese Stoffe auf die Unterwasserwelt der Tiefsee haben können, bis jetzt weitestgehend unbekannt sind.

1,8 Millionen Liter des Stoffes mit dem Namen Corexit hat die britische Ölfirma BP bereits nach eigenen Angaben auf das Meer geschüttet. Seit diesem Wochenende darf der Konzern die Chemikalie auch direkt am Leck in der Tiefe einsetzen, um das austretende Öl zu bekämpfen. Nach zahlreichen Tests hatte die amerikanische Umweltschutzbehörde den Einsatz der chemischen Mittel auch unter Wasser zugelassen. Das sei zwar aus Umweltschutzgründen nicht perfekt, räumte eine Sprecherin der Behörde ein. Im Endeffekt seien die chemischen Mittel allerdings weniger gefährlich als das Öl.

Meeresbiologie Christian Bussau von Greenpeace bezweifelt dies. "Die eingesetzten Stoffe sind giftig", sagt er. Corexit setze sich aus zwei Stoffen zusammen, von denen einer im Verdacht stehe, die Fruchtbarkeit zu schädigen. "Ich hätte persönlich von einem Einsatz abgeraten und mich auf mechanische Mittel wie das Abpumpen beschränkt", sagt der Greenpeace-Experte. Wobei er zu bedenken gibt, dass es bei dieser großen Umweltkatastrophe eine schwierige Abwägung sei. "Bilder von verölten Küsten und sterbenden Vögeln sorgen für einen großen Aufschrei in der Bevölkerung. Dass der Ölkonzern diese vermeiden will, ist daher verständlich." Daher würde alles unternommen, um zu verhindern, dass der Ölteppich die Küste erreicht. "Wer Chemikalien einsetzt, opfert allerdings die Meerestiere für die Küstentiere", kritisiert Bussau. Denn für diese sei Corexit eine zusätzliche Giftdosis.

"Unkalkulierbares Roulettespiel"

Die Idee, Chemikalien gegen Ölverschmutzungen einzusetzen, ist nicht neu: Seit Jahrzehnten werden sogenannte Dispergatoren verwendet, um Ölteppiche unschädlich zu machen. Das Prinzip dahinter ist einfach: Die chemischen Mittel funktionieren so ähnlich wie Spülmittel. Sie lagern sich an den Ölteppich an, reduzieren die Oberflächenspannung und sorgen so dafür, dass sich das Öl in kleine Tropfen zerteilt. Für Vögel und Säugetiere ist es dann weniger schädlich als ein zusammenhängender Ölfilm. Zudem können Bakterien die kleinen Öltröpfchen leichter abbauen.

"Allerdings weiß man viel zu wenig über die Folgen, die ein derartiges Mittel im Ökosystem anrichten kann", kritisiert Bussau. "Das Plankton in der Wassersäule wird auf jeden Fall Schaden nehmen", vermutet auch Stephan Lutter, Experte für Meeresschutz bei der Umweltorganisation WWF. Kleine Fische, Quallen und Kalmare könnten absterben, was wiederum Auswirkungen auf größere Fische hätte, die sich von den Kleinstlebewesen im Planktongürtel ernähren. "Bei der Prüfung der Chemikalie auf Umweltverträglichkeit hatte man diese Lebensgemeinschaften in der Tiefsee wohl kaum im Blick", vermutet Lutter. "Was hier passiert, ist ein unkalkulierbares Roulettespiel."

Das Öl sammelt sich unter Wasser

Wird das Problem damit nur verschoben statt behoben? Ja, kritisiert Meeresexperte Lutter. BP handle nach dem Prinzip 'Aus den Augen, aus dem Sinn'. "Es ist ein absoluter Irrglaube anzunehmen, dass das Erdöl durch den Einsatz dieser Dispergatoren zersetzt wird oder verschwindet", sagt er. Die chemischen Mittel sorgen lediglich dafür, dass sich das Öl in anderen Wasserschichten verteilt. Über Wasser eingesetzt, bewirken sie, dass der Ölteppich absinkt. "Wird das Öl direkt am Leck damit behandelt, steigt es langsamer die Wassersäule empor", sagt Bussau.

Doch das Öl ist weiter da - nur unter Wasser. Dort entdeckten Forscher bereits riesige Ölfahnen. Bis zu 16 Kilometer lang, sechs Kilometer breit und rund 100 Meter hoch seien diese. Ein Grund dafür, dass das Öl nicht aufsteigt, kann auch der großflächige Einsatz von Chemikalien sein, vermuten US-Wissenschaftler. "Wenn solche Mittel eingesetzt werden, war es absehbar, dass sich das Öl unter Wasser sammelt", sagt Lutter.

Bilder von verschmutzten Küsten und sterbenden Vögeln bleiben dann vielleicht aus. Doch aus der sichtbaren Katastrophe über Wasser wäre eine stille unter Wasser geworden. "Das wahre Drama spielt sich dort ab", vermutet Bussau. Der Sauerstoffgehalt rund um die Ölschwaden ist jedenfalls innerhalb eines Monats bereits um 30 Prozent gefallen, sagte Samantha Joye von der Universität Georgia der "New York Times". Wahrscheinlich, da die Öl abbauenden Bakterien den vorhandenen Sauerstoff äußerst schnell aufbrauchen.

"Wenn diese Rate so bleibt, wird der Sauerstoffgehalt in wenigen Monaten so gering sein, dass es für die Meerestiere gefährlich werden kann", befürchtet Joye. Für die Wissenschaftlerin ein beunruhigender Fund: Denn Sauerstoff gelangt nur sehr langsam wieder von der Oberfläche in diese tiefen Regionen, die auf dem Weg sind, sich in sogenannte Todeszonen zu verwandeln. In diesen sind Garnelen, Muscheln, Schnecken und andere Meeresbewohner unwiederbringlich ausgestorben.

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