Seismologie Am Puls der Erde

Von Ralf Krauter
Experten der Vereinten Nationen haben ein weltumspannendes Abhörsystem aufgebaut. Es registriert Erdstöße rund um den Globus - und unterscheidet sie in heimliche Atomtests und tektonische Beben.

Das Bild auf dem Monitor erinnert an eine komplexe Partitur: 20 rot-gezackte Linien, untereinander angeordnet. Doch es ist eine Art EKG der Erde, das Robert Horner unter die Lupe nimmt. Der kanadische Seismologe sitzt im sechsten Stock eines Bürogebäudes in Wien und damit im Zentrum eines weltumspannenden Sensornetzes, mit dem die Vereinten Nationen (Uno) heimliche Kernwaffentests rund um den Globus aufspüren wollen.

"Internationales Monitoring-System", so heißt das Konglomerat von Horchposten; sein Aufbau und Betrieb sind im Vertrag über das umfassende Verbot aller Nuklearversuche festgeschrieben. Das Abkommen wurde 1996 bei der Uno in New York zur Unterschrift vorgelegt, verbietet Kernwaffentests aller Art und gilt als Meilenstein der atomaren Abrüstung. Nicht zuletzt deshalb, weil es ein globales Überwachungsnetz verlangt. 200 Nukleardetektive der CTBTO in Wien - einer Unterorganisation zur Kontrolle der militärischen Nutzung von Kernenergie - sind seither damit beschäftigt, das Netz aufzubauen und am Laufen zu halten.

Ein Erdbeben - oder ein Atomtest?

321 Messstationen, verteilt rund um den Globus, soll das Monitoring-System einmal umfassen - von Alaska bis in die Antarktis, von Hawaii bis Hokkaido. 170 Seismometer erfassen Erschütterungen des Bodens, elf Unterwassermikrofone registrieren Sprengungen in den Ozeanen, 60 Infraschall-Antennen lauschen dem Grummeln der Atmosphäre, 80 Radionuklidsensoren messen radioaktive Elemente. "70 Prozent der Horchposten liefern uns bereits per Satellit kontinuierlich Daten", erzählt der Physiker Thomas Hoffmann, der bei der CTBTO für die akustischen Horchposten zuständig ist.

Gefunden in...

Als auffällig gelten alle Beben ab einer Stärke von drei auf der Richterskala. Denn unterirdische Tests einer kleinen Atombombe verursachen lokal ein schwaches Erdbeben der Stärke drei bis vier. Das Problem dabei: Erdbeben der Stärke drei und mehr gibt es weltweit jeden Tag etwa hundertmal, nach einem starken Erdbeben auch deutlich häufiger. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied. "Wenn die Quelle des Bebens 20, 30 oder sogar 500 Kilometer tief liegt, können wir einen Kernwaffentest ausschließen, denn so tief würde niemand bohren, um eine Atombombe zu zünden", sagt Robert Horner.

Schon seit dem Kalten Krieg weiß man, dass unterirdische Sprengungen andere Bodenschwingungen erzeugen als tektonische Beben. Damals hatten militärische Seismik-Netzwerke Hunderte Kernwaffentests in den USA und der UdSSR aufgezeichnet. "Die Kernwaffentests 1998 in Indien und Pakistan konnten wir auf 30 Kilometer genau lokalisieren", sagt der österreichische Diplomat Bernhard Wrabetz aus der CTBTO-Chefetage. Und das, obwohl das internationale Monitoring-System damals nur in Ansätzen vorhanden war.

Wer erwischt wird, hat nichts zu befürchten

Mittlerweile haben die Nukleardetektive ihr Arsenal so weit verfeinert, dass sie hoffen, das vertraglich vorgegebene Ziel in den allermeisten Fällen zu erreichen. Das heißt: Explosionen, die der Sprengkraft von einer Kilotonne TNT entsprechen, sowohl registrieren als auch rund um den Globus orten zu können. Und zwar auf 1000 Quadratkilometer genau. Echte Probleme hätten die Analysten nur, wenn auf der anderen Seite Profis am Werk wären, die eine sehr kleine unterirdische Testexplosion geschickt in den Nachbeben eines starken Erdbebens verstecken - was ziemlich schwierig ist.

Damit ist klar: Wer heimlich eine Atombombe zündet, muss damit rechnen, erwischt zu werden. Juristische Konsequenzen drohen indes nicht. Denn obwohl inzwischen mehr als 170 Staaten das Abkommen unterzeichnet haben - in Kraft getreten ist es noch nicht. Denn Staaten wie Israel, Indien, Pakistan, China und die USA verweigern bislang die Ratifizierung.

Sie orten Riesenwellen, Wale und Meteoriten

Kein Wunder also, dass die Uno-Detektive angesichts ihrer Kosten von knapp 100 Millionen Euro pro Jahr nach anderen Abnehmern ihrer Datenschätze suchen. Tatsächlich ist das globale Sensornetz für viele Wissenschaftler interessant. Egal ob über Feuerland ein Meteorit in die Atmosphäre eintaucht, Wale vor der Küste singen oder in der Arktis Eismassen ins Meer stürzen - die Experten in Wien sehen es auf ihren Monitoren. "Wir entdecken Dinge, die wir nie zuvor gesehen haben", schwärmt Wrabetz. So verraten sich auch Vulkanausbrüche, Wirbelstürme oder Riesenwellen oft frühzeitig durch typische Muster im Pulsschlag des Planeten.

Seit kurzem fließen Daten aus Wien testweise in Tsunami-Frühwarnsysteme im Pazifik. Dank moderner Satellitentechnologie erreichen diese Informationen ihr Ziel anderthalb Minuten früher als die anderer Messfühler. Ein Zeitgewinn, der manchmal Leben retten kann.

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