Der bitterkalte nordeuropäische Winter hat zu ungewöhnlich lauten Warnrufen vor der Gefahr einer Ölpest auf der Ostsee durch Tankerunfälle geführt. Nach mehreren Kollisionen im Packeis des Finnischen Meerbusens mit Beteiligung von voll beladenen und unzureichend gesicherten Tankern schlagen skandinavische Regierungen, Behörden, Umweltschützer und die von allen Ostseeländern getragene Helsinki-Kommission (HELCOM) jetzt Alarm wegen des rasant zunehmenden Verkehrs mit Riesentankern aus russischen Häfen.
"Wir sehen diese Tanker jeden Tag"
«Die Gefahr für die Ostsee ist äußerst real. Wir gucken aus dem Fenster und sehen diese Tanker jeden Tag», sagt Ulrike Hassink, Pressechefin von HELCOM in ihrem Büro am Hafen von Helsinki. Zwei Straßen weiter kann Finnlands Verkehrsminister Kimmo Sasi unter anderem wegen gigantischer Papierstapel auf seinem Schreibtisch keine Schiffe mehr sehen, räumt aber unumwunden ein, dass Öl aus einem Tanker im Ostseeeis derzeit schon fast ein «Supergau» für das enge und ökologisch sehr empfindsame Gewässer wäre: «Wir haben im Moment nichts, womit wir eine Ölpest im Eis bekämpfen könnten.»
Die Ziele sind klar, ihre Durchsetzung ist unsicher
Mit einer Serie von Konferenzen, von denen das erste Expertentreffen ab Dienstag in Rostock und zum Abschluss eine Ministerkonferenz Ende Mai in Bremen anstehen, sollen nun erste praktische Schritte für Verbesserungen erreicht werden. Die Ziele dabei sind klar, ihre Durchsetzung dagegen höchst unsicher. Vor allem Finnland und Schweden drängen auf gemeinsame Investitionen der Anrainerländer für die Anschaffung von Eisbrechern, die auch zur Bekämpfung von ausgelaufenem Öl eingesetzt werden können. Gleichzeitig sollen Russland und die baltischen Staaten dazu bewegt werden, nur noch Tankern mit speziell gegen Eis verstärkten Bordwänden Transporte im Winter zu gestatten.
Export aus Russland steigt
Alarmierend klingen nicht zuletzt Statistiken und Prognosen zur künftigen Entwicklung der russischen Öltransporte aus dem äußersten Nordosten der Ostsee längs der skandinavischen und der deutschen Küsten. Die finnische Schifffahrtexpertin Sanna Sonninen hat ermittelt, allein aus dem russischen Ölterminal Primorsk sollen im Jahr 2004 40 Millionen Tonnen Rohöl gegenüber derzeit 18 Millionen Tonnen transportiert werden. Zusätzlich sind neben dem ebenfalls genutzten Hafen von St. Petersburg vier weitere Terminals im Bau. Bis 2010 erwartet Sonninen eine Steigerung der russischen Öltransporte von 68,4 auf 130 Millionen Tonnen.
Russische Tanker unterlaufen skandinavische Regeln
Die massiv auf die Energiemärkte drängenden russischen Lieferanten dürfen infolge Moskauer Regeln Tanker ohne besondere Verstärkung gegen Eis einsetzen. Danach können wie zuletzt die «Minerva Nounou» und die «Minerva Stemnitsa» Riesentanker mit jeweils mehr als 100.000 Tonnen Öl an Bord Kurs durch das Ostsee-Eis nehmen. Schiffe, die in Skandinavien als zu schwach keinen Winterhafen verlassen oder anlaufen dürfen. Die Nounou blieb mehrfach im Eis stecken. Stoppen konnte die gefährliche Fahrt niemand, denn der Finnische Meerbusen ist zwar aus Sicht der Umweltschützer viel zu schmal für die Gefahren einer Ölpest, immer aber noch breit genug, damit Schiffe internationale Gewässer ohne Behinderung durch nationale Behörden passieren können.
Nur drei von 30 Tankern gegen Eis geschützt
Für bindende Regeln würde man hier die Zustimmung der weltweiten Schifffahrtsorganisation IMO benötigen, die in solchen Fragen, wenn überhaupt, äußerst langsam arbeitet. Von den aus Russland im Winter letzten Jahres ausgelaufenen 30 Tankern mit mehr als 100.000 Tonnen Ladekapazität waren nur drei nach westlichen Regeln für das Eis geeignet. Roy Jaan, Chef der finnischen Eisbrecherflotte, glaubt nicht, dass man da noch lange warten darf: «Es kann so einfach nicht weitergehen. Sonst kommt ein großes Unglück.»