Zu Tode gequälte Siri Sozialarbeiterin muss sich wegen Körperverletzung verantworten

Die im Fall der zu Tode gequälten Siri angeklagte Jugendamtsmitarbeiterin der Stadt Wetzlar hat beim Prozessauftakt Vorwürfe zurückgewiesen.

Mehrmals bricht die junge Frau auf der Anklagebank im Wetzlarer Amtsgericht in Tränen aus. Sie erzählt anfangs mit unsicherer, dann mit fester Stimme, was sich im Elternhaus der zu Tode gequälten Siri abgespielt hat. Dort war die Mitarbeiterin des Jugendamtes zwei Mal zu Besuch. "Ich habe selten so kooperative Eltern erlebt", berichtet die 29-Jährige am Dienstag. Ihr Eindruck von der Familie sei positiv gewesen.

Die Anklage wirft ihr vor, Hämatome im Gesicht, eine frische Verletzung am Mund und einen gebrochenen Arm bei dem Kind ignoriert zu haben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft versäumte es die Frau, Hilfe herbeizuholen und nahm zumindest Schmerzen des Babys billigend in Kauf.

Siri war im Mai 2008 nach monatelangen Misshandlungen gestorben. Ihre Eltern schleuderten sie gegen die Wand, ließen sie hungern, verbrühten sie mit heißem Wasser, verweigerten ihr den Schlaf. Das kleine Mädchen starb mit acht Monaten an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas. Ihre Eltern wurden zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt.

Ein anonymer Hinweis hatte das Jugendamt auf die Spur der Familie gebracht. Ein Anrufer meldete, bei der Familie seien ständig die Rollläden heruntergelassen, die Eltern seien "Grufties" und gingen mit dem Kind nur abends spazieren. Daraufhin hatte die Sozialarbeiterin die Eltern zunächst zu einem Gespräch ins Jugendamt eingeladen, zu dem nur der Vater kam. Um auch Mutter und Kind kennenzulernen, kam sie rund vier Wochen später zu Besuch.

Mit Siris Mutter habe sie wenig geredet, die aus Kanada stammende Frau spreche nur Englisch. Die Mutter-Kind-Beziehung sei aber gut gewesen. Anzeichen dafür, dass es Siri nicht gut gehe, habe sie bei ihrem Besuch im Dezember 2007 nicht bemerkt. Auch bei ihrem zweiten Hausbesuch im April 2008, einem routinemäßigen Nachsorgetermin, sei ihr nur ein Pflaster auf Siris Stirn aufgefallen, erzählt die junge Frau. Der Erklärung der Eltern, das Baby habe sich beim Krabbeln gestoßen, habe sie geglaubt.

Auch Siris Mutter wird am ersten Prozesstag als Zeugin gehört. Die in Handschellen vorgeführte 37-Jährige gibt Siris Vater alle Schuld an den Misshandlungen. Der Mann sei dominant und manipulativ. "In der Wohnung war es die Hölle für mich", sagt die Kanadierin. Jeden Tag habe sie auf Hilfe gehofft, um mit Siri fliehen und zurück nach Kanada reisen zu können. Aber sie habe gegen die Kontrolle ihres Partners nichts ausrichten können. Als die Jugendamtsmitarbeiterin zu Besuch war, habe sie um Hilfe bitten wollen, sich aber wegen ihrer fehlenden Deutschkenntnisse nicht verständigen können. Ihr Lebensgefährte habe die Sozialarbeiterin hinters Licht geführt. Die Angeklagte treffe "keine Schuld", sagt die Mutter. Bereits im Mordprozess hatten sich die Eltern gegenseitig beschuldigt.

Laut den ärztlichen Gutachtern wurden Siri einen Tag vor dem Hausbesuch im April 2008 Hämatome im Gesicht zugefügt. Im Mai sei sie derart abgemagert gewesen, dass die Augen des Babys tief in den Höhlen gelegen hätten.

Erst ein zweiter Hinweis aus der Nachbarschaft alarmierte die Behörde Ende April 2008 erneut. Eine Nachbarin, die im Kinderschutzbund aktiv ist, meldete Zweifel an Siris Wohlergehen. Auf der Straße sei ihr aufgefallen, dass das Kind "spindeldürr" sei. Die Sozialarbeiterin erreichte die Eltern nicht, fand schließlich über den Kinderarzt heraus, dass Siris Eltern nicht zu den anstehenden Vorsorgeuntersuchungen erschienen sind. Sie sprach Siris Vater auf die Mailbox, er solle umgehend einen Arzttermin vereinbaren. Dann, Anfang Mai, verabschiedete sich die Jugendamtsmitarbeiterin für zwei Tage in den Urlaub. "Als ich zurückkam, bekam ich die Nachricht, dass das Kind tot sei", sagt sie in der Verhandlung am Dienstag.

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Karina Scholz, APN

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