Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer muss sich wegen einer dubiosen Werbung für Schutzmasken kritische Fragen stellen lassen. Der stern und das Portal Abgeordnetenwatch haben bei gemeinsamen Recherchen Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit einem Internetshop namens mittelhessen-maske.de entdeckt (hier der Artikel bei Abgeordnetenwatch). Der Anbieter, der jetzt in die Kritik gerät, hatte im Mai eine ganzseitige Anzeige in dem gratis verteilten Monatsblatt "Wetzlar Kurier" geschaltet, das der als rechtskonservativ bekannte Politiker Irmer in seinem hessischen Wahlkreis betreibt.
In der Werbung des Anbieters wurden Schutzmasken und Desinfektionsmitteln versprochen, die "sofort lieferbar" seien. "Aufgrund des hohen Bestellaufkommens" könne es aber auch vorkommen, dass Lieferungen drei bis fünf Tage verspätet ankommen. Bei einer Testbestellung des Portals Abgeordnetenwatch wurde dann das Geld abgebucht; trotzdem war auch nach drei Wochen das bestellte Desinfektionsmittel nicht eingetroffen. Eine Mailanfrage an die Betreiber zum Verbleib blieb bis Mitte dieser Woche unbeantwortet.
Onlineshop mit unvollständigen Angaben
Der Shop fällt überdies mit vergleichsweise hohen Preisen auf. So verlangt der Anbieter für zehn Schutzmasken des Typs FFP2 insgesamt 55 Euro sowie 159 Euro für 200 einfache Mundschutzmasken, also knapp 80 Cent pro Stück. Hinzu kommt jeweils die Mehrwertsteuer. Lesern des "Wetzlar-Kuriers" bot der Shop zwar 10 Prozent Rabatt an. Bei anderen Anbietern kosten solche Masken aber dennoch weniger. Das Bundesgesundheitsministerium garantiert zum Beispiel bei einem Angebot von mindestens 25.000 Stück einen Abnahmepreis von netto 4,50 Euro pro FFP2-Maske sowie 60 Cent pro einfacher OP-Maske. Im Einzelhandel werden FFP2-Masken auch in kleineren Mengen teils noch billiger angeboten.
Der Onlineshop wirkt so, als sei er eilig aus dem Boden gestampft worden; bis heute macht er einen wenig professionellen Eindruck. Unter der Rubrik "Häufige Fragen" gibt es keine Antworten zu sehen, sondern Blindtext ("Lorem ipsum dolor sit amet"). In der Fußleiste fehlen Links zu weiterführenden Informationen über "Versandkosten" und "Zahlungsmethoden".
Zwei Firmen tragen Maskenshop
Nach eigenen Angaben stehen zwei Firmen hinter mittelhessen-maske.de: die Berliner Zoila GmbH und die Sparola AG in der Schweiz. Zoila präsentiert sich auf der eigenen Webseite als Shop für Gesichtscremes und Hautpflegeprodukte. Hinter der Berliner Gesellschaft steckt wiederum auf dem Umweg über die Firma Matterhorn UG der in der Schweiz lebende deutsche Unternehmer Ruben Welsch. Der 42-Jährige ist offenbar selbst Mitglied der CDU, mit Irmer persönlich bekannt und ein Fan des CDU-Politikers Friedrich Merz. Nachdem am 17. März bekannt geworden war, dass Merz an Covid-19 erkrankt war, postete Welsch auf Twitter gute Besserungswünsche. "Eigentlich" habe man sich ja an diesem Tag "mit den Parteifreunden" um Irmer und die CDU Lahn-Dill in Wetzlar treffen wollen.
Der Anzeige des Internetshops in Irmers Zeitung ist auch zu entnehmen, dass es zwischen ihr und der Firma eine gewisse Kooperation zu geben scheint. So werden Leser dazu eingeladen, ein Rabattformular für die Shop-Produkte über die Redaktionsadresse des "Wetzlar Kuriers" einzureichen.

Unklar, wem Schweizer Sparola AG gehört
Wem die Sparola AG in der Schweiz gehört ist unklar. Sie wird von dem Chef einer Treuhandfirma geführt – also von jemandem, der nach außen für Personen auftritt, die nicht selbst in Erscheinung treten wollen. Die Adresse der Sparola deckt sich mit der Anschrift der Treuhandfirma. Im Februar diesen Jahres hat die Sparola AG die Anteile einer weiteren Schweizer Firma übernommen, die früher Gesellschafter bei Welschs Zoila GmbH war.
Die Zoila GmbH ist auch Inhaberin von zwei Schweizer Seiten namens hygieneprodukte24.ch und hygiene-produkte24.ch. Deren Webauftritte ähneln dem von mittelhessen-maske.de. Bereits Ende März kritisierte die Schweizer Verbraucherzeitschrift "Saldo" in einem Artikel über "die Stunde der Wucherer" die vergleichsweise hohen Preise der Masken von hygieneprodukte24.ch. Im Kommentarbereich der Zeitschrift klagte ein Nutzer, er habe bei der Firma bestellt und bezahlt, aber seine Ware nicht erhalten.
Irmer: Homosexualität "nicht normal"
Welschs Karriere als Unternehmer war offenkundig nicht ganz geradlinig. Ein Schweizer Auskunftsdienst bewertete seine Bonität als "sehr tief". So war der 42-Jährige in der Vergangenheit Gesellschafter und Geschäftsführer bei einer Firma namens Addfuture GmbH in der Schweiz. Für sie wurde im Februar 2016 das Konkursverfahren durch Verfügung des örtlichen Bezirksgerichts "mangels Aktiven eingestellt". Die International Sport Consulting Group in Zürich, bei der Welsch als Gesellschafter und Geschäftsführer wirkte, wurde im Jahr 2012 laut Handelsregister "von Amtes wegen gelöscht, weil die Gesellschaft keine Geschäftstätigkeit mehr aufweist und keine verwertbaren Aktiven mehr hat". Die ebenfalls mit Welsch verbundene Xrypto Invest GmbH im Schweizer Kanon Zug wurde im März 2020 "von Amtes wegen als aufgelöst erklärt" – offenbar, weil sie keine Anschrift mehr angab. Zeitweise war Welsch auch bei der Bluebox Shop AG im Kanton Zürich aktiv, die als Geschäftszweck den Aufbau von Internetshops angab, die "insbesondere" Waren "im Erotikbereich" anbieten sollten.
Inwiefern das zum Wertegerüst des CDU-Abgeordneten Irmer passt, ist unklar. Der Politiker ist schon länger bis in die eigenen Reihen hinein umstritten. In der Vergangenheit gab es von ihm Äußerungen, wonach Homosexualität "nicht normal" sei, sonst hätte "der Herrgott das mit der Fortpflanzung anders geregelt". Vor fünf Jahren musste Irmer nach einem islamfeindlichen Inserat der rechten Gruppierung "Die Deutschen Konservativen" im "Wetzlar Kurier" seinen Posten als CDU-Fraktionvize im hessischen Landtag räumen.
Hans-Jürgen Irmer: "Das ist völlig skandalfrei"
Mit dem Monatsblatt will Irmer nach eigenen Angaben "die großen Themen wie Innere Sicherheit, Asylmissbrauch, Ausländerkriminalität" und "Probleme rund um den Islam" aufgreifen, die seiner Meinung nach "in der aktuellen Berichterstattung politisch zu kurz kommen". In dem Blatt, das nach eigenen Angaben in einer Auflage von 125.000 Stück erscheint, wirbt immer wieder auch der für verschwörungstheoretische Veröffentlichungen bekannte Kopp-Verlag, etwa für sein "Wörterbuch der Lügen-Presse".
Der Abgeordnete wies jetzt auf Anfrage von stern und Abgeordnetenwatch Kritik an der Anzeige des Maskenshops zurück. Ja, Ruben Welsch sei ein "Parteifreund, das ist richtig", bestätigte Irmer. Zu dessen Internetangebot seien ihm aber keinerlei Vorwürfe wegen ausstehender Lieferungen bekannt. "Es gab keine Beschwerden, überhaupt nicht", sagte Irmer. Einzelheiten zu beim "Wetzlar Kurier" geschalteten Anzeigen könne er ansonsten nicht nennen, aus Gründen von Datenschutz und "Betriebsschutz". Irmers Resümee: "Das ist völlig skandalfrei."
Zoila-Eigentümer: Keine Kunden-Beschwerden
Auch Irmers Parteifreund, der Zoila-Eigentümer Welsch ist sich keiner Schuld bewusst. Beschwerden von Kunden seien ihm nicht bekannt, sagte er auf Anfrage des stern, auch alle Schweizer Kunden hätten "ihre Ware oder ihre bereits gezahlten Gelder nach gesetzlichen Stornos erhalten". Bei der Bestellung einer Flasche Desinfektionsmittel aus Hamburg - gemeint war offenbar die Testorder von Abgeordnetenwatch - sei die Zahlung im "Erstattungsumlauf". Was die Preise für "zertifizierte FFP2-Masken" angehe, so seien diese für Ende April 2020, als die Anzeige im "Wetzlar Kurier" gestaltet und aufgegeben worden sei, als "marktneutral", wenn nicht sogar "tief" einzustufen. Leider gebe es auf dem Markt viel gefälschte Ware zu Dumpingpreisen, schrieb Welsch: "Davon distanzieren wir uns."
Allerdings erschien gerade jetzt die Juni-Ausgabe des "Wetzlar Kuriers" - erneut mit einer Anzeige von Welschs Maskenshops. Erneut verlangt er dort 55 Euro für zehn FFP2-Masken, genauso wie vor einem Monat. Der Unternehmer verteidigt das: Er müsse ja seinen Einkaufspreis wieder reinbekommen. Für Leser des "Wetzlar Kuriers" gebe es einen Rabatt. Und: "Der Konsument ist ja frei in seiner Wahl." *
* Ergänzung vom 5. Juni: Der letzte Absatz wurde am Freitag Nachmittag angefügt.