AMOKLAUF »Er stand schweigend auf und tötete schweigend«

Im Gemeinderat der Pariser Vorstadt Nanterre hat ein Mann in der Nacht ein Blutbad angerichtet: Er erschoss mindestens acht Menschen und verletzte 30 weitere Teilnehmer einer Ratssitzung.

Es ist kurz nach ein Uhr in der Nacht, als Bürgermeisterin Jacqueline Fraysse die Ratssitzung schließt. Sechs Stunden lang hat sich ein Mann im Zuschauerraum geduldig die Beratungen über den Haushalt der Pariser Vorstadt Nanterre angehört. Dann zieht der 33-jährige Richard Durn eine Maschinenpistole und beginnt zu schießen. »Er stand schweigend auf und tötete schweigend«, berichtet Fraysse fassungslos.

»Entschlossen und methodisch«

»Entschlossen und methodisch« bringt Durn acht Menschen um und verletzt 19 weitere, wie Staatsanwalt Yves Bot am Mittwoch sagt. »Ich versteckte mich unter einem Tisch, und eine Kugel traf meine Jacke«, erzählt Ratsherr Samuel Rijik. Ein stellvertretender Bürgermeister wirft einen Stuhl nach Durn und stürzt sich auf ihn. Der kann sich noch einmal freimachen, greift nach einem Revolver und schießt weiter.

»Tötet mich, tötet mich«

»Tötet mich, tötet mich«, ruft der Amokläufer, als einige Männer ihn endgültig außer Gefecht setzen. Ohne deren großen Mut »wären wir jetzt alle tot«, glaubt die Bürgermeisterin. »Er hat systematisch geschossen.« Einige seiner Opfer habe er offenbar gezielt ausgesucht. Mehrmals lädt der Todesschütze nach, insgesamt gibt er mehr als 40 Schüsse ab. »Ich dachte, ich sei in einem Horrorfilm«, sagt Stadtrat Christian Brunet der Zeitung »Le Monde«.

Wahlkampf am Tatort

Premierminister Lionel Jospin und Präsident Jacques Chirac eilen an den Tatort, es ist Wahlkampf. Die Tat eines Wahnsinnigen, sagt Jospin; ein unvorstellbarer Gewaltakt, meint Chirac. Durn führte ein scheinbar unauffälliges Leben in seiner Heimatstadt, interessierte sich für Umweltthemen, engagierte sich in einer Menschenrechtsorganisation und war des öfteren Gast bei Ratssitzungen. Doch nach und nach werden beunruhigende Einzelheiten über ihn bekannt.

Die Polizei bestätigt, dass Durn in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und 1998 Mitarbeiter einer Einrichtung für psychologische Hilfe mit einer Waffe bedroht habe. Die Sozialbehörde verzichtete auf eine Anzeige. Tatsächlich war der Arbeitslose der Polizei nicht bekannt.

Mitglied im Schießclub

Er wurde Mitglied in einem Schießclub und konnte die Pistolen legal erwerben. Der Amokläufer lebte bei seiner Mutter, früher arbeitete er als Aufseher in einer Schule von Nanterre. Nach der Bluttat erklärte Durn der Polizei, er habe ein letztes Mal existieren wollen, indem er viele Menschen töte.

Nanterre »keine heiße Vorstadt«

Am Eingang des Rathauses werden Blumen niedergelegt, die französische Fahne auf dem Gebäude aus den 70er Jahren weht auf Halbmast. »Ich hätte nie gedacht, dass so etwas bei uns möglich ist«, sagt Marie-Claude Fontaine. Die Angestellte im öffentlichen Dienst lebt seit 1959 in der kommunistischen Hochburg im Westen von Paris. Nanterre sei keine der »heißen Vorstädte«, in denen Gewalt an der Tagesordnung ist. »Hier kennt sich jeder. Nanterre ist eine große Stadt und zugleich ein Dorf.« Unter den schwer verletzten Opfern sei eine Jugendfreundin von ihr.

Uwe Gepp, AP

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos