Wenn man in diesen Tagen durch Athen geht, sieht man so viele verschiedene Welten. Es ist Krise und Hauptsaison, man sieht also amerikanische Touristen am Hotelpool ihre Caipirinhas trinken, zwei Blocks entfernt von der Nebenstraße, wo sich Junkies Heroin spritzen. In den südlichen Vorstädten am Meer sieht man die Athener am Strand liegen und mal ein paar Stunden keine Nachrichten hören, keine Zeitungen lesen. Man sieht die Verwahrlosung auf den Straßen neben den Straßencafés, die gut gefüllt sind, mehr denn je.
Wie lange kann man ständig informiert bleiben, sich ständig mit Politik beschäftigen in einer Krise, die jetzt schon sechs Jahre dauert und die vergangenen Monate über rund um die Uhr alle Medien bestimmte? Wann bekommt man Kopfschmerzen, oder aber: Wann wendet man sich ab?
Aggression am Geldautomaten
Im Zentrum, gleich neben den Museen und dem Akropolis-Viertel, finden jeden Abend Demonstrationen statt, mal für, mal gegen den Sparkurs. Zehntausende kommen. Und von morgens bis abends stehen die Menschen an den Geldautomaten an für ihre 60 Euro pro Tag, so lange der Automat gefüllt ist. Die Menschen in den Schlangen reagieren aggressiv, wenn man mit ihnen sprechen oder sie fotografieren will. Die ganze Unsicherheit steht in ihren Gesichtern. Da ist keine Panik in den Straßen, aber die Anspannung spürt man. Es kann morgen wieder alles ganz anders sein als noch heute morgen. Vielleicht einigen sie sich doch noch, sagen viele. Nicht alle glauben daran, dass das Referendum überhaupt stattfindet. Und die Tsipras-Anhänger und seine Gegner haben sich kaum noch etwas zu sagen, Griechenland teilt sich auf in dafür und dagegen, es ist eine gefährliche Zeit.
Polarisierung und Wut
Die Polizei ist jetzt überall, an jeder Ecke im Zentrum steht ein Bus der Bereitschaftspolizei. Es gibt diese kurzen Momente, in denen man spürt, was mit dieser Gesellschaft passiert. Ein verwirrter Obdachloser, der plötzlich anfängt zu schreien und nicht mehr aufhört, bis ihn zwei Polizisten abführen. Ein anderer, der auf einer Parkbank mit dem Kopf nach unten hängt, so dass sich Passanten umdrehen und nachsehen, ob der Mensch noch lebt.
Es ist eine Verwahrlosung. Eine noch stille Wut in vielen. Eine Polarisierung, ein immer aggressiverer Ton.
Da ist aber auch der beschämte Blick einer jungen Apothekerin, als sie davon erzählt, dass sie ins Ausland will. Weil sie die Krise nicht mehr aushält. Sie will ihr Land eigentlich nicht verlassen, nur: Sie kann nicht anders. Da ist die Frau, die mit ihrer Tasche in einer Armenküche steht und auf das Essen für ihre Familie wartet, und es dauert heute ein wenig länger - da steht sie also mitten im Raum und sieht zu Boden, weil ihr diese Minuten des Wartens offenbar peinlich sind. Sie packt das Essen in ihre Taschen und verschwindet wortlos.
Die Krise bleibt
Das ist Athen 2015, und so ist es eigentlich schon seit Jahren. Nur bekam Europa davon nichts mehr mit, so lange Griechenland nicht in den Schlagzeilen war.
Immer noch sind die Fähren und Flieger voll, die zu den Inseln fahren und fliegen, und die Hotels sind alle überbucht, und abends im Restaurant in den netten Vierteln ist die Krise immer ganz weit weg. Obwohl sie meistens nur einen Straßenblock weg ist. Und obwohl sie sofort da ist, wenn ein Bettler von Tisch zu Tisch geht. Was immer passiert, immer.
Vielleicht einigen sich Tsipras und die Gläubiger noch, vielleicht geht es ganz schnell. Die Wirtschaft könnte sich schnell erholen. Die Griechen werden diese Zeit lange in Erinnerung behalten: als ein kollektives Trauma.