Ringen um den Brexit Boris Johnson gehen die Optionen aus

Der britische Premierminister Boris Johnson will den Brexit "ohne Wenn und Aber" zum 31. Oktober durchziehen. Sein Vorhaben rückt in immer weitere Ferne – und wird zunehmend zu einem persönlichen Risiko.

Boris Johnson ist mit zwei Vorhaben angetreten: Er will den Brexit durchziehen und Großbritannien wieder vereinen – so sagte er es in seiner ersten Rede als neuer Chef der konservativen Tory-Partei.

Zumindest von einem dieser Vorhaben scheint er sich verabschiedet zu haben. Während das andere immer mehr Risiken für Johnson persönlich birgt.

Der britische Premierminister hat seinen Ton im Brexit-Geschacher verschärft. Kritiker monieren, dass Johnson das Land mit dieser Rhetorik noch tiefer spalte. Seine eigene Schwester gehört dazu. So machte er etwa nach einer Rede an einer Polizeiakademie deutlich, dass er "lieber tot im Graben liegen" würde, statt eine Fristverlängerung bei der EU zu beantragen. Obendrein ließ es ihn ungerührt, als eine Kadettin einen Schwächeanfall erlitt und hinter ihm zusammenbrach.

Lassen sich so Wogen glätten? In dem Brexit-Referendum 2016 sprach sich fast die Hälfte der Bevölkerung gegen den EU-Austritt von Großbritannien aus. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Brexit-Gegner ausgerechnet hinter diesem Knallhart-Kurs des Premierministers versammeln könnten – der zu allem Übel auch nur ein Mandat von 0,35 Prozent der Briten hat.

Boris Johnsons Brexit-Pläne werden zum Problem

Boris Johnson dürfte das bewusst sein. Auch deswegen erscheint seine Forderung nach Neuwahlen opportun. Außerdem ist er in aktuellen Meinungsumfragen der unangefochtene Spitzenreiter, der beliebteste Tory-Politiker und liegt auch weit vor Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn. Kurzum: Brexit-Befürworter sehen in Johnson zur Zeit die Lösung ihrer Sehnsucht.

Aber wie lange noch?

Nach Überläufern, Rücktritten und einer Personalrochade ist die Stimmung bei den Torys gedrückt und ihre Mehrheit im britischen Unterhaus passé. Obendrein legte das Parlament Johnson die Daumenschrauben an, indem es einen No-Deal-Brexit am Parlament vorbei per Gesetz verboten hat. Der Premier muss nun binnen weniger Tage einen neuen Deal vorlegen. Bis zum 19. Oktober bleibt ihm dafür Zeit, andernfalls muss er – laut dem verabschiedeten Gesetz – um einen neuerlichen Brexit-Aufschub bitten. Johnson verunglimpft das als "Kapitulationsgesetz" ("Surrender Bill").

Johnson, der seit seinem Amtsantritt einen Brexit "ohne Wenn und Aber" bis zum 31. Oktober beschwört, hat womöglich schon kapituliert. Berichten zufolge könnte er doch eben jene Verlängerung der Brexit-Frist beantragen, sollte kein Deal mit der Europäischen Union zustande kommen. Johnsons bisher treuen Fußsoldaten könnte die mögliche Abkehr vom Knallhart-Brexit vergraulen.

Johnson bleiben nur wenige Möglichkeiten – und keine davon ist ohne Risiko.

Er könnte sich weigern, dem vom Parlament verabschiedeten Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit Folge zu leisten. Er würde an seinem Knallhart-Kurs und dem Brexit "ohne Wenn und Aber" festhalten und forcieren, dass Großbritannien am zum 31. Oktober die EU verlässt. Zum Beispiel, in dem er provoziert, dass die EU eine Fristverlängerung ablehnt. Zuletzt wurde spekuliert, dass London damit drohen könnte, Entscheidungen in Brüssel künftig zu blockieren. Einen Antrag auf Verlängerung müssten alle 27 bleibenden EU-Staaten zustimmen.

Das dürfte mindestens zu schweren Verwerfungen mit dem Parlament führen, die Johnson schließlich das Amt kosten könnten. Außerdem würden ihn womöglich schwere Sanktionen drohen – offenbar bis zu einer Haftstrafe, sollte er sich etwa einer gerichtlichen Verfügung widersetzen. Das lege ein von der Labour-Partei in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten nahe, aus dem der britische "Guardian" zitierte. 

Johnson kann die EU aber auch um eine Fristverlängerung bitten und nochmals versuchen, Neuwahlen herbeizuführen. Andernfalls müsste sich Johnson mühsam (und womöglich vergebens) um eine Mehrheit im Parlament bemühen. Er würde damit das von ihm immer wieder beschworene Datum für den EU-Austritt (31. Oktober) reißen. Das dürfte seinen Anhängern, besonders den Hardlinern, nicht schmecken. Und damit seinen Umfragewerten schaden, respektive seiner möglichen Wiederwahl.

Quellen: "The Guardian" (erste Rede / Rechtsgutachten), "Süddeutsche Zeitung", YouGov (Johnson / Corbyn

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