Ein EU-Gipfel sei ein bisschen wie Schachspielen, hatte Großbritanniens Premierminister David Cameron kurz vor der Abreise nach Brüssel gesagt. Das Problem dabei: Statt einem habe man 26 Gegner. "Und ich bin sowieso nicht so gut im Schach", fügte er hinzu.
In Brüssel hat sich Cameron nun an den Spielfeldrand katapultiert. Daheim sitzt er zwischen Schwarz und Weiß - den Europagegnern und Europafreunden in der eigenen Koalition. Wenn sein Ausscheren auch noch zur Folge haben sollte, dass die Gipfelergebnisse die Märkte nicht beruhigen können - sind Premier Cameron und sein Land dann bald schachmatt?
Am Freitag dominierten zuerst einmal die Fragen. Ist Camerons Veto in Brüssel eine simple Festschreibung des Außenseiter-Status, den die Briten in Brüssel ohnehin haben und auch wollen? Oder ist das Ganze der erste Schritt zum Ausstieg aus der Union? Hat Cameron persönlich Standfestigkeit bewiesen, oder ist das bloßer Egoismus?
Cameron zwischen allen Stühlen
Balsam dürfte da das Lob der Europakritiker aus den eigenen konservativen Reihen gewesen sein. Dank kam auch aus der Londoner City, die Cameron mit seinem Schritt schützen will. "David Cameron ist ein Coup gelungen", sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson, langjähriger Freund des Premiers. Außenminister William Hague pochte darauf, dass Großbritannien keinesfalls an Einfluss in Europa eingebüßt habe und nun isoliert dastehe. Man sei weiter im Club, und in Fragen etwa von Wirtschaft und Verteidigung spiele man ganz vorne mit.
Aus den Reihen der Opposition gab es zwar pflichtgemäß Kritik. Dass Cameron sich beim Gipfel besser gegen die City und damit britische Herzensinteressen hätte stellen sollen, wagte aber auch niemand zu sagen. Cameron habe sich vorher einfach mehr Unterstützung aus anderen Ländern suchen müssen, meinte Oppositionschef Ed Miliband. Es sei ein "Zeichen von Schwäche", dass er das nicht geschafft habe.
Cameron sitzt zu Hause so richtig zwischen den Stühlen. Denn nicht nur muss er es seinen europakritischen Parteikollegen Recht machen, sondern auch dem pro-europäischen Koalitionspartner, den Liberaldemokraten. Am Freitag demonstrierten diese zunächst Einigkeit, auch, wenn der eine oder andere Abgeordnete den gequälten Blick dabei nicht verbergen konnte. "LibDem"-Chef und Vize-Premier Nick Clegg betonte, dass Cameron grundsätzlich richtig gehandelt habe. Seine Forderungen seien in Ordnung gewesen. Leistet sich der Premier aber noch einen Anti-Brüssel-Coup, dürfte Europafreund Clegg das Gesicht nicht mehr wahren können.
Viel zu verlieren
Es droht zudem ein neuer Versuch der Europagegner im Land, eine Volksabstimmung über den Austritt des Königreichs aus der Union anzuleiern - das wiederum wäre ein Bruch der Koalitionsvereinbarung. Zunächst aber dürfte Cameron vor allem hoffen, dass seine Entscheidung nicht noch schwerere Konsequenzen hat. Schließlich hängt auch das Königreich mit am Euro. Für Cameron steht jede Menge auf dem Spiel.