Was für eine Erscheinung! Grazil, fast elfenhaft. Gütige, lebendige Augen, die blonden Haare aufs Eleganteste hochgesteckt, auch der Hosenanzug verrät Stil. Zwei Schritte nach vorn, hinein ins Licht, jetzt ist sie dran, ihr Wahlkampfsegment, 1 Minute 15 Sekunden, Einblicke in das Privatleben einer Kandidatengattin, Bekenntnisdienst nach Vorschrift.
Ein treuer Ehemann und liebevoller Vater sei ihr John, Lebenshalt und natürlich bester Freund. Vor allem aber stehe sie hier als Mutter. Der älteste Sohn leiste Dienst im Irak. Stolz empfinde sie und Sorge. Sie spricht von der einzigartigen Verantwortung des Amtes, von John als dem Ideengeber der neuen Strategie, John, dem Kriegshelden, John, dem nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten! Jubel. Lächeln. Winken. Nein, an ihr wird es nicht scheitern. Nicht dieses Mal. Cindy McCain ist denkbar nah dran am Idealtyp der republikanischen Ehefrau: aus betuchtem Hause, studierte Pädagogin, vierfache Mutter, Hausfrau aus Überzeugung, Vorstand diverser Kinderhilfswerke und ohne eigene politische Ambitionen. Ein Stern am konservativen Wertehimmel. Doch das war nicht immer so. Und jeder im Saal weiß es. Denn es gab Zeiten, da stand Cindy McCain für die dunkle Seite des traditionellen Lebensentwurfs, für die gängigen Abgründe der mütterlichen Heimexistenz.
Nach der Geburt des dritten Kindes waren sie in ihr Leben gekrochen: der Schmerz, die Angst und die Leere. Gefangen in einer Mischung aus Überforderung und Gleichgültigkeit, erfülltem Familienwunsch und beängstigender Selbstaufgabe. "Wie so viele andere Frauen auch, bin ich da einfach hineingeschlittert", sagt sie. "Ich wollte nicht, dass mein Mann nach Hause kommt und eine Frau antrifft, die nicht funktioniert." Der unbedingte Wunsch, dem Rollenideal zu entsprechen, trieb Cindy McCain in die Medikamentenabhängigkeit.
Über Jahre bemerkte niemand etwas. Nicht ihr Ehemann, der in Washington Karriere machte und bei den Wochenendbesuchen im heimischen Phönix alles zur Zufriedenheit antraf. Nicht einmal die eigenen Eltern in der Villa gleich auf der anderen Straßenseite. Wem allerdings etwas auffiel, war ein Mitarbeiter der von Cindy McCain gegründeten Initiative "American Voluntary Medical Team" (AVMT). Getrieben von der Sucht, hatte sich die Patronin aus den Lagern ihrer eigenen Organisation mit betäubenden Schmerzmitteln versorgt.
Nun war er da, 1993, der Skandal. Und auf einmal stand alles auf dem Spiel: Ehe, Familie, nicht zuletzt die politische Karriere ihres Mannes. Per Telefon erfuhr John McCain von der Malaise, als einer der Letzten, noch weit nach manchem Lokalreporter. Ein Kommunikationsstil nicht unbedingt nach dem Geschmack eines Mannes, der den "Straight Talk" zu seinem politischen Markenzeichen erhoben hat. "Letztlich hat der Vorfall unsere Ehe gestärkt", sagt die 54-Jährige. Und: "Seit damals habe ich nie wieder eine Tablette genommen."
Lebensstärkung gewährte in dieser Phase auch Adoptivtochter Bridget. Als Leiterin einer Hilfsdelegation holte Cindy McCain sie als Säugling aus einem Bangladescher Waisenheim. Das Mädchen war mit einer besonders entstellenden Hasenscharte zur Welt gekommen und sollte in den USA operiert werden. Noch auf dem Flug nach Amerika entschloss sich McCain zur Adoption und teilte ihrem nichts ahnenden Ehemann bei der Ankunft mit, Bridget gehöre nun zur Familie.
Die mutige Herzensentscheidung zeitigte bald weltpolitische Konsequenzen, denn als John McCain im Jahre 2000 mit George W. Bush in engem Nominierungszweikampf stand, wurden auch die Wähler South Carolinas von Bridgets Existenz in Kenntnis gesetzt. Eine anonyme Anrufkampagne streute kurz vor dem Wahlgang die Lüge, Bridget sei Frucht einer Affäre, die John McCain mit einer schwarzen Prostituierten unterhalten habe. Cindy McCain brach öffentlich in Tränen aus. Die entscheidende Vorwahl war da aber bereits an den Kontrahenten gegangen. "Heute bin ich viel erfahrener", sagt sie. "Geschähe nur in Ansätzen Ähnliches, wir würden das sofort in Grund und Boden stampfen."
Nichts als Rückschläge
Ja, auch Cindy McCain hat ihn mittlerweile im Repertoire, den konfrontationsbewährten "Straight Talk". Acht lange Jahre haben sie gemeinsam auf ihre zweite Chance gewartet. Rückschläge gab es genug, zuerst die Hautkrebserkrankung von John, 2004 dann ein schwerer Schlaganfall von Cindy, und noch vor weniger als acht Monaten galt die Kampagne sowohl inhaltlich wie finanziell als erledigt. Nichts von alldem ist den beiden anzusehen, wenn sie strahlend im Scheinwerferlicht stehen. Überzeugender als je zuvor verkörpert das Paar den Geist eines unverwüstlichen, weil willensstarken Patriotismus. Ein angedeuteter Wangenkuss, dann übernimmt John wieder das Mikro, verspricht, mit Cindy werde "Stil, Anmut und Eleganz" ins Weiße Haus einziehen. Und sollte es anders kommen, bleibt der guten Gattin neben Familie und Charity immer noch ihre Drittexistenz als Vorstandsvorsitzende des ererbten Getränkeunternehmens – derzeitiger Jahresumsatz 170 Millionen Dollar.
Wolfram Eilenberger ist USA-Korrespondent von Cicero. Er schrieb das Buch "Philosophie für alle, die noch etwas vorhaben" (Berlin Verlag).