Covax-Initiative Keine Lust auf Solidarität: Das mutwillige Versagen der globalen Impfkampagne

Eine Gesundheitsarbeiterin gibt einem Jungen im indischen Prayagraj die erste Impfdosis
Eine Gesundheitsarbeiterin gibt einem Jungen im indischen Prayagraj die erste Impfdosis eines Corona-Impfstoff
In den ärmeren Ländern der Welt wütet das Virus gerade wie zu keinem bisherigen Zeitpunkt der Corona-Pandemie. Währenddessen zelebrieren viele reiche Nationen ihre Öffnungsszenarien. Ein Ungleichgewicht, das Folgen zeitigen könnte.

Läuft doch, oder?! Die USA zeigen sich von ihrem Horrorjahr 2020 inzwischen gut erholt, auch dank der rücksichtslosen Impfstoffbestellung ihres ansonsten von der Corona-Pandemie völlig überforderten Ex-Präsidenten. Impfweltmeister Israel bestellt gerade reichlich Stoff nach, man kann ja nie wissen. Und selbst in Deutschland purzeln beinahe täglich neue Rekorde, wie oft es Piks macht.

Die reicheren Länder der Erde haben im Schnitt bereits 20 Prozent ihrer Bevölkerung immunisiert, was jetzt kein Hexenwerk ist, wenn man sich bis heute mehr als 80 Prozent der weltweit verfügbaren Impfstoffdosen gesichert hat. Nur folgerichtig, dass in der westlichen Welt gerade jede Menge sexy Öffnungsszenarien präsentiert werden.

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Jubelarien beißen sich mit apokalyptischen Bildern

Aber Moment, irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. Ach ja, richtig: Die aktuellen Jubelarien passen nicht so recht zusammen mit der Realität – erstens beißen sie sich mit den apokalyptischen Bildern aus Indien oder Südamerika, wo das Virus gerade wie zu keinem bisherigen Zeitpunkt wütet; und zweitens widerlegen sie die hochtrabenden Versprechen, die beim Weltimpfgipfel der G-7-Staaten im Februar gemacht wurden.

Damals versprach Deutschland, den weltweiten Kampf gegen das Coronavirus mit weiteren 1,5 Milliarden Euro zu unterstützen, Joe Biden sagte ärmeren Ländern gar vier Milliarden Euro zu, die EU packte auch noch ein paar Taler obendrauf – alles Geld für die globale Impfinitiative Covax. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen twitterte daraufhin ergriffen von einem "echten Moment globaler Solidarität".

Der Stand der Dinge im Frühjahr 2021 stellt sich trotz aller Lippenbekenntnisse irgendwie desillusionierender dar. In den ärmsten Ländern können bis Jahresmitte nur 3,3 Prozent der Einwohner auf eine Impfung hoffen, und selbst dieses Covax-Ziel könnte noch verfehlt werden – sind doch bislang erst 0,3 Prozent der verfügbaren Vakzine dort gelandet. Zahlen, die unsere dummen Debatten über Impfneid und Impfscham nur noch perfider aussehen lassen.

"Es ist eine Frage der Moral", sagt Boston Zimba, Arzt und Impfexperte aus Malawi, wo bislang nur zwei Prozent der Bevölkerung geimpft wurden, in der "New York Times". Darüber sollten die reichen Staaten einmal nachdenken, so Zimba: "Es ist ihr Gewissen."

Welches Gewissen?, ist man geneigt zu fragen angesichts der Tatsache, dass die USA gerade auf 20 Millionen Astrazeneca-Dosen sitzen, obwohl das Präparat dort noch gar nicht zugelassen ist. Oder angesichts der Erkenntnis, dass in wohlhabenden Ländern wirklich jeder, der möchte, geimpft sein wird, bevor Restposten und wie auch immer für nachrangig befundene Impfstoffe gnädig an den darbenden Rest der Welt rausgeschickt werden.

Dahinter lauert epidemiologische Kurzsichtigkeit

Und abgesehen vom mutwilligen moralischen Versagen der globalen Impfkampagne lauert dahinter auch eine epidemiologische Kurzsichtigkeit. Denn das hässliche Gebaren des Westens befördert ein Ungleichgewicht, das Folgen zeitigen könnte: Solange in Teilen Afrikas, Asiens, Mittel- und Südamerika vielerorts kein ausreichender Impfschutz gewährleistet ist, werden auch Europa oder die USA in ständiger Sorge leben müssen, dass neue Mutationen den unvermeidlichen Weg in ihre Breitengrade finden.

"Wir müssen sicherstellen, dass die ganze Welt geimpft ist, weil dies eine globale Pandemie ist und es keinen Sinn ergibt, wenn ein Land dem anderen weit voraus ist", hat der britische Premier Boris Johnson noch im Februar gesagt. Es mache deshalb keinen Sinn, so Johnson, nur die eigene Bevölkerung zu impfen.

Aber genau darauf haben er und seine reichen Freunde rund um die Welt sich seitdem in ihrem Impfnationalismus konzentriert. Klar, eine gerechtere Verteilung, obwohl sie auch im Sinne der eigenen Sicherheit wäre, könnte feierliche Wasserstandsmeldungen aus dem eigenen Land trüben. Also haben die großen Player für die Solidarität, von der sie so gerne faseln, bis heute offenbar keine Zeit. Schlimmer noch regt sich der Verdacht: Sie haben einfach keine Lust.

tim