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Ungleicher Schutz Wie der langsame Impffortschritt in Afrika Bidens Pläne vom Corona-Ende durchkreuzen könnte

Uganda: Eine Krankenschwester verabreicht einem jungen Mann eine Impfung gegen das Coronavirus
In Afrika blieb eine Corona-Impfung bisher ein Privileg – auch hier in Uganda. In dem ostafrikanischen Land sind nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung vollständig gegen das Virus geschützt.
© Nicholas Bamulanzeki / AP / DPA
US-Präsident Joe Biden fordert eine 70-prozentige Impfquote weltweit – innerhalb eines Jahres. Damit das gelingt, muss sich in und vor allem für Afrika einiges verändern.

Wenn es nach US-Präsident Joe Biden geht, ist die Corona-Pandemie Ende 2022 endgültig Geschichte. 70 Prozent der Weltbevölkerung, so fordert er, sollen innerhalb des nächsten Jahres geimpft werden. Realistische Mammutaufgabe oder kaum umsetzbarer Wunschtraum?

In den USA und in Deutschland genießen mehr als die Hälfte aller Menschen einen vollständigen Impfschutz, es ist bereits von einer Auffrischungsdosis die Rede. In vielen afrikanischen Ländern ist hingegen nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung geimpft, wie aus einerinteraktiven Impfkarte der "New York Times" hervorgeht. Hier besteht das Problem nicht etwa in einer mangelnden Impfbereitschaft, sondern in der weiterhin massiven Impfstoffknappheit.

Um Bidens großes Ziel zu erreichen, ist der Impffortschritt in Afrika entscheidend. Der hinkt zurzeit gewaltig hinterher. Aktuellen Daten zufolge wurden bisher rund sechs Milliarden Impfdosen weltweit verabreicht – nur zwei Prozent davon in Afrika. Doch stellt der Kontinent circa 17 Prozent der globalen Bevölkerung.  

Schuldzuweisungen statt Lösungen

Die Hauptursache für die stockende Kampagne liegt Medienberichten zufolge am schwierigen Zugang zu den Impfstoffen – damals wie heute. Laut BBC hatten reiche Industrienationen bereits im Juli 2020 Verträge mit den Herstellern künftiger Impfstoffe geschlossen und sich somit ein Vorrecht erkauft. Afrikanische Länder mussten sich hinten anstellen.

37 Prozent der bisher in Afrika verteilten 177 Millionen Dosen kamen von der internationalen Impfinitiative Covax, so die BBC weiter. Den Rest hätten die Nationen eigenständig in bilateralen Abkommen erworben oder durch Spenden erhalten.

Anstatt nach einer Lösung für die Nachschubprobleme zu suchen, beschuldigten sich Pharmaunternehmen und Regierungen bislang gegenseitig, verantwortlich für die ungerechte Verteilung sein, wie die Menschenrechtsanwältin Fatima Hassan in einem Interview mit dem "Spiegel" sagte. Es gebe keine transparenten Lieferpläne: Die Industrie behaupte, dass genügend Impfstoff produziert, jedoch von reichen Ländern aufgekauft würden. Die wiederum würden auf unzureichende Produktionsmengen der Unternehmen verweisen. "Die Staats- und Regierungschefs treffen sich immer noch und versuchen, die Unternehmen zum Einlenken zu bewegen. Es ist lächerlich", so Hassan weiter.

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WHO schraubt Erwartungen bereits zurück

Ein Großteil der bisher im Rahmen der Covax-Initiative bereitgestellten Dosen wurde Berichten zufolge im Serum Institute of India, dem weltweit größten Impfstoffhersteller, produziert. Laut der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" stoppte Indien angesichts des steigenden Eigenbedarfs den Export jedoch nach wenigen Wochen.

Bis Ende März seien so gerade einmal 16 Millionen Impfdosen an 28 afrikanische Länder geliefert worden. Ungeschützt sei der Kontinent in den folgenden Monaten in eine dritte und schließlich in eine vierte Infektionswelle geschlittert. Erst im Juli habe der Impfstoffimport dank Spenden wieder Fahrt aufgenommen.

Doch selbst die Millionen neuer Dosen, die eintrafen, reichen bei weitem nicht aus. Wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang September mitteilte, wird das angestrebte Ziel, zehn Prozent der afrikanischen Bevölkerung bis Ende des Monats zu impfen, verfehlt. Auch für den Rest des Jahres, so die BBC, wurden die Erwartungen bereits zurückgeschraubt. Statt der geplanten Lieferung von 520 Millionen Impfdosen, rechne man bei Covax inzwischen nur noch mit etwa 420 Millionen. "Bei diesem Tempo könnte der Kontinent das 40-Prozent-Ziel erst Ende März 2022 erreichen", habe der WHO-Regionaldirektor für Afrika Matshidiso Moeti erklärt.

Produktionsanlagen in Afrika: verpacken statt herstellen

Eine weitere Hürde ist die mangelnde Eigenproduktion der Impfstoffe. Einem Bericht des Thinktanks Carnegie Endowment for International Peace (CEIP) zufolge wird nur eine von hundert Impfdosen, die in Afrika verabreicht werden, auch auf dem Kontinent hergestellt. Zwar seien bis September in sechs afrikanischen Ländern mindestens zwölf Produktionsstätten bereits in Betrieb oder zumindest in Vorbereitung. Doch stellen die Anlagen bisher den Impfstoff nicht selbst her, sondern füllen die aus anderen Kontinenten importierten Vakzine lediglich ab und sorgen für die Verpackung. Danach würden die fertigen Impfdosen wieder in wohlhabende Länder versandt.

Doch: Selbst die wenigen vorhandenen Impfdosen kommen nicht immer bei den Menschen an. Wegen der fehlenden Infrastruktur im Gesundheitswesen, nicht ausreichendem medizinischem Material und nicht zuletzt aufgrund des Personalmangels, stockt die Kampagne in vielen afrikanischen Ländern, wie die BBC berichtet. Etwa 450.000 Impfdosen seien in einigen afrikanischen Ländern vernichtet worden, weil sie nicht rechtzeitig verimpft werden konnten, heißt es im Bericht von "The Lancet".

Ist Bidens Ziel also unerreichbar?

Ist Bidens großes Ziel, die 70-Prozent-Marke zu knacken, also von Beginn an zum Scheitern verurteilt? Das kommt darauf an. Afrika ist und wird weiterhin von den Industrienationen abhängig sein – aus eigener Stärke dürften die wenigsten afrikanischen Nationen eine Herdenimmunität erreichen.

Doch es gibt Hoffnung. Zum einen will das Serum Institute of India im Oktober wieder den Export aufnehmen. Zum anderen hat sich der Griff vieler westlicher Nationen um die Impfstoffe gelockert, was wiederum Spendenlieferungen durch Covax begünstigen könnte.

Zudem soll endlich die Eigenproduktion anlaufen. Im Senegal beispielsweise entstehe mit der Unterstützung der USA und der EU eine 200 Millionen Dollar teure Impfstoffproduktionsanlage, berichtet CEIP. Auch außerhalb von Kairo soll eine Anlage ab November mit der Herstellung von bis zu einer Milliarde Impfdosen pro Jahr beginnen.

Wie der US-Präsident in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung bestätigte, will die USA weitere 500 Millionen Dosen herstellen und bedürftigen Nationen zukommen lassen. Auch hat die Afrikanische Union laut "The Lancet" einen Vertrag mit Hersteller Johnson & Johnson unterzeichnet, wonach 400 Millionen Dosen über eineinhalb Jahre bereitgestellt würden. Doch selbst damit fehlen noch Abermillionen Impfdosen. Am Ende hat Biden wohl recht: "Wir werden es nicht alleine schaffen". Oder vielmehr: Afrika wird es nicht alleine schaffen.

Quellen: BBC; "New York Times"; "Spiegel";  "Our World in Data"; WHO; "Carnegie Endowment for International Peace"; "The Lancet"

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