Die Welt verstehen Wie lebt es sich gerade in Israel?

Nach zwei Wochen fast täglicher Anschläge liegen sogar in Tel Aviv die Nerven blank. Während frustrierte junge Palästinenser jüdische Israelis angreifen, tobt auf politischer Ebene der Deutungskrieg. Wer ist der Gewinner? Niemand.

"Shit, shit, shit. Jetzt ist es auch in Givatayim passiert", schreibt meine Freundin im Facebook-Chat. "Eine Verfolgungsjagd mit Autos. Die ganze Stadt ist gesperrt. FUCK!", steht da in großen Lettern. Und mir fällt auch nichts anderes ein. "Kannst du zuhause bleiben?", frage ich schließlich. "Nein, ich bin in Tel Aviv. Arbeiten. Aber meine kleinen Neffen kommen gleich aus der Schule." Banges, hilfloses Schweigen im Cyberspace. Sie findet als erste zu den Tasten zurück: "Wie immer wird es sich bald wieder beruhigen, und dann geht es irgendwann wieder los. Die Geschichte unseres Lebens hier." Viele Israelis sind mit den Jahren zynisch geworden. Und zutiefst müde.

Seit zwei Wochen vergeht fast kein Tag ohne Anschläge. Junge, frustrierte Palästinenser greifen zu Messern, Schraubenziehern und sogar Obstschälern, um damit auf Israelis einzustechen, mit dem Ziel, sie zu töten. Es gibt dieses Video, das einen Palästinenser zeigt, der mit seinem Auto in Menschen an einer Haltestelle rast, dann steigt er aus und hackt mit einem Beil auf den Kopf eines am Boden Liegenden ein. Als ein israelischer Sicherheitsmann auf den Angreifer schießt, rappelt der sich wieder hoch und hackt weiter. Bis der Sicherheitsmann noch mal schießt. Der Hass hat die Menschlichkeit weggebrannt. "Hier brennt es überall", sagt meine Freundin.

Die Lüge von toten Jungen

Angefangen hat es in Jerusalem. Mit Angriffen auf israelische Soldaten in der Altstadt. Als Auslöser gilt vielen der Streit um den Tempelberg. "Die Juden" wollen die Al-Aksa-Moschee abreißen, heißt es in der palästinensischen Propaganda. "Die Palästinenser" erzählen Lügen und können vor lauter Rachelust nicht denken, hält die israelische Propaganda dagegen. Acht Israelis sind bei den Angriffen in jüngster Zeit ermordet worden. Auf palästinensischer Seite spricht man von 40 Toten. Es gibt Dutzende Verletzte. Es ist ein tödliches Hin- und Her. Die Hamas bejubelt die dritte Intifada, obwohl Experten davon ausgehen, dass die Täter nicht organisiert sind. Und Israels Premier Netanjahu verspricht, noch härter gegen den Terror vorzugehen.

Verhindert hat es nicht, dass am vergangenen Dienstag zwei Palästinenser einen israelischen Bus gestürmt und das Feuer eröffnet haben. Am selben Tag hat ein jüdischer Israeli auf einen anderen jüdischen Israeli eingestochen, weil er ihn für einen "Araber" hielt. "Es ist egal, ob ein Araber oder ein Jude auf mich eingestochen hat. Mir fehlen die Worte für dieses Verbrechen aus Hass", sagte der Angegriffene im israelischen Fernsehen. In Nablus, in der Westbank, wurde in der Nacht zu Freitag eine heilige Stätte der Juden angezündet, Josephs Grab. Die israelische Regierung lässt seit Beginn der Terrorwelle die Häuser der Attentäter zerstören, die bei ihren Angriffen meist erschossen worden sind. 

Einer, der überlebt hat, sorgt gerade für einen verbalen Schlagabtausch, der sich hervorragend dazu eignet, mal wieder nicht über die eigentlichen Gründe des Konflikts zu sprechen. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas hat am Mittwoch in einer Fernsehansprache voller Zorn behauptet, dass Israel einen unschuldigen, 13-jährigen, palästinensischen Jungen namens Ahmed Manasra kaltblütig hingerichtet habe. Allerdings liegt der Junge lebendig in einem israelischen Krankenhaus, wo die Wunden behandelt werden, die Manasra sich offensichtlich zugezogen hat, als er weglaufen wollte, nachdem er zusammen mit seinem Cousin einen jüdisch-israelischen Jungen angegriffen hatte, und von einem Auto angefahren wurde. Ein PR-Fest für Israels rechte Regierung. 

Das ist "kein Wild-West-Film"

"Bald wird es sich wieder beruhigen", hat meine Freundin gesagt. Nein, sie hat Netanjahu nicht gewählt, sie verabscheut die Siedlungspolitik genauso wie das, was in Gaza passiert. Aber sie ist hier geboren, so wie ihr Vater. Sie ist in diesem Land zuhause. Genauso wie die Palästinenser.

"Der Nahost-Konflikt ist kein Wild-West-Film", hat der auch in Deutschland beliebte Autor Amos Oz einmal gesagt: "Es ist nicht der Kampf zwischen Gut und Böse", es sei der Streit um das gleiche Land, in dem beide das Recht haben zu leben.

Eines der besten Bücher zum Thema: Amos Oz - How to Cure a Fanatic