Kann so einer Präsident werden? Der damit prahlt, dass er Frauen an ihre "Pussy grabschen" kann und glaubt, damit davon zu kommen, weil er prominent ist. Der von unzähligen Frauen angeklagt wird, dass er sie betatscht oder ohne ihre Einwilligung geküsst habe. Der von Stiftungsgeldern mit denen er Gutes tun sollte, ein riesiges Selbstporträt kaufte. Der ganz unpatriotisch sagt, er wisse nicht, ob er das Ergebnis der Wahl anerkennen werde. Ja, so einer ist Donald Trump. Ja, er kann immer noch Präsident werden.
Nach der dritten Debatte und Trumps Ausrastern schien das Rennen um das Weiße Haus gelaufen. Einer, der seine Gegenkandidatin öffentlich "nasty", also fies nennt, weil sie seine Politik-Ideen kritisiert und im Grunde sagt, dass ihm die amerikanische Verfassung Wurst ist, kann nicht Präsident werden. Darüber schien sich Amerika einig zu sein - zumindest für ein paar Tage. In Umfragen sackte Trump ab. Zwölf Punkte lag er national hinter seiner Herausforderin Hillary Clinton. Viele sogenannte "Swing Staates" schienen verloren. Es wurde viel spekuliert über die Frage, wie groß das Debakel am 8. November für Trump werden könne. Ob er seinen Namen so sehr beschädigt habe, dass seine Hotels ihn fortan nicht mehr tragen können. Ob seine Tochter ihre Bekleidungsfirma aufgeben müsse, weil keiner mehr dort kaufen wolle und so weiter.
Aber bei dieser Wahl ist nichts wie es sonst immer war. Alle Regeln scheinen außer Kraft gesetzt. Nach einer neuen Umfrage von ABC und "Washington Post" holt Trump wieder auf. Hillary führt nur noch mit 48 zu 44 Prozent. Das sind gerade einmal vier Punkte, und damit innerhalb der Fehlerquote einer solchen Umfrage. Und nun machen ihr auch noch neue FBI-Ermittlungen in der E-Mail-Affäre zu schaffen. Die wohl größte Überraschung ist, dass vor allem Frauen doch wieder für Trump stimmen wollen. Führte Hillary Clinton in dieser Kategorie vor ein paar Tagen noch mit 49 Prozent, liegt Trump nun deutlich vorne.
Warum fallen alle auf Donald Trump herein?
Warum ist das so? Warum kann Amerika sich nicht von diesem sexistischen Bully lossagen? Ihn endlich und endgültig in die Wüste jagen? Was haben sie denn alle nur zu klagen? Der Wirtschaft geht es doch so gut wie lange nicht. Obama hat das doch super hinbekommen nach der großen Finanzkrise 2008. Warum fallen alle dann auf einen Trickbetrüger herein, der verspricht, Amerika wieder groß zu machen?
Um das zu verstehen, muss man genauer hinschauen. Ja, Obama hat einen wirtschaftlichen Aufschwung geschafft. Aber dennoch fühlen sich viele Amerikaner betrogen. 43 Millionen leben in Armut. 29 Millionen ohne Krankenversicherung. Viele haben sind so hoffnungslos, dass sie gar nicht mehr nach Arbeit suchen. Sie tauchen längst in keinen Statistiken mehr auf. Auch deswegen sieht die Bilanz Obamas auf dem Papier so gut aus. Und viele haben Arbeit, aber zu niedrigeren Gehältern als früher. Sie fürchten um die Zukunft, ihre eigene und die ihrer Kinder. Die Welt und die Kräfteverhältnisse wandeln sich dramatisch, das macht Angst. Amerika ist nicht zuversichtlich - vor allem das weiße Amerika.
Genau diese Stimmung trifft Trump. Seine Anhänger fühlen sich von ihm verstanden. Endlich einer, der ihnen zuhört, ihnen glaubt. Der ihre Not versteht. Sie sind wütend auf die Politiker, die sie in diese üble Lage gebracht haben. Deswegen folgen sie gerade einem, der keine Erfahrung in Washington hat. Deswegen konnte der Milliardär Trump einer von ihnen werden. Er ist ihr Verbündeter, ihr Kämpfer, der ihnen neuen Wohlstand verspricht.

"Er ist der menschliche Molotov Cocktail"
Der linke Filmemacher und Oscar-Preisträger Michael Moore warnt schon seit Wochen davor, dass Trump am Ende doch gewinnen könne. In einer neuen Videobotschaft versucht er nun zu erklären, warum Trump für so viele zu einem Hoffnungsträger geworden ist: "Er ist der menschliche Molotov Cocktail auf den alle gewartet haben. Die menschliche Handgranate, die sie legal in das politische System werfen können. In das System, das ihnen ihre Leben gestohlen hat." Deswegen sei der 8. November ein Tag der Abrechnung. Denn es gehe längst nicht mehr darum, ob das, was Trump verspricht auch einlösbar sei. Moore sagt: "Trumps Wahl wird das größte "Fuck You" der Menschheitsgeschichte. Und viele werden sie danach sehr, sehr gut fühlen." Deswegen glauben auch viele Experten, dass die Umfragen für Trump derzeit einen zu niedrigen Wert anzeigen. Dass seine Wählerschaft in Wahrheit deutlich größer sein könnte, als angenommen. Denn viele würden sich nicht trauen, öffentlich zuzugeben, dass sie für Trump stimmen wollen. Aber in der Einsamkeit und Anonymität der Wahlkabine sei es ein leichtes, sein Kreuzchen bei dem Republikaner zu machen.
Hillary Clinton kann das kaum verhindern. Sie hat viele Verdienste und ist extrem erfahren. Aber genau das ist ihr Problem. Sie ist für viele auch nur ein Mitglied der Politiker-Kaste, die das Land in dieses Elend gestürzt hat. Ihre 30 Jahre Politikerfahrung sind ein Fluch. Sie schaffte es in den letzten Monaten nicht, die Herzen der Menschen zu erobern. Ihre Reden sind inhaltlich fundiert - aber hölzern. Sie hat kaum Charisma, sie reißt nicht mit. Sie klingt nicht nach Aufbruch und Wandel. Die Amerikaner lieben sie nicht. Im Gegenteil.
Amerika zuckt nur noch mit den Schultern
Plus, Hillary Clinton macht unglaublich viele Fehler. Auch deswegen ist Trump so erfolgreich. Erst nennt sie seine Anhänger "verachtenswert", dann verschweigt sie ihre Lungenentzündung und dass täglich neue Emails von ihr an die Öffentlichkeit gelangen, schadet ihr extrem. Hat sie Fragen vor der letzten Debatte vorab bekommen? Wie viel Einfluss nimmt Bill Clinton? Wie hat stark hat die Clinton Stiftung auf die Außenministerin Hillary Einfluss genommen? War sie käuflich? Eventuell beginnt das FBI noch einmal, Ermittlungen wegen ihres privaten Email-Servers bei ihr zu Hause. Das alles sind Schlagzeilen der vergangenen Tage. Ob wahr oder nicht, jede bestätigt, was Trump seit Monaten von der Bühne schreit: Hillary ist eine Betrügerin.
So wird es also noch einmal eng. Trump kann wirklich gewinnen. Auch weil die Demokraten sich schon zu sicher gefühlt haben. Jeden Tag gibt es neue Meldungen von Frauen, die er belästigt haben soll. Aber das Land zuckt längst nur noch mit den Schultern. Alles nur Verleumdung. Wer sich seines Lebens betrogen und beraubt fühlt, hält zueinander.
Nun gilt für Hillary Clinton in einem letzten Kraftakt, Anhänger zu mobilisieren und Unentschlossene zu gewinnen. Seit Tagen bettelt sie regelrecht: "Bitte geht wählen." Gestern trat sie zum ersten Mal mit der unglaublich beliebten First Lady Michelle Obama gemeinsam auf. Ihre Popularität soll auf Clinton abstrahlen. Aus Clintons Kampagne heißt es, am Ende werden die Frauen nicht ihren Männern folgen und doch für Hillary stimmen. Im noch immer sehr konservativen Amerika käme das einer Revolution gleich. Aber irgendwie klingt es wie Pfeifen im Walde.