Donald Trump ist schuldig gesprochen. Es lohnt sich, das zu wiederholen: Der Ex-Präsident und führende republikanische Kandidat für die Wahlen 2024 ist in einem Zivilprozess schuldig gesprochen worden. "Hat Donald Trump E. Jean Carroll sexuell missbraucht?", fragte der Richter am Dienstag in Manhattan. "Ja", lautet die einstimmige Antwort der Jury.
Es ist nicht weniger als ein politischer Paukenschlag.
In den USA hat man sich so sehr an Trumps ungeheuerliches Verhalten gewöhnt, dass es verlockend ist, den Fall herunterzuspielen. Eine "Elle"-Kolumnistin, die Trump beschuldigt, sie 1996 in einer Umkleidekabine des Luxuskaufhauses Bergdorf Goodman in Manhattan vergewaltigt zu haben. Die Geschichte fügt sich ein in die schier endlose Reihe der Trump-Skandale: Schweigegeld für eine Pornodarstellerin, eine totgeschwiegene Affäre mit einem Playboy-Model, die unvergessene "Grab ’em by the pussy"-Tonaufnahme.
Seit der Republikaner 2016 ins Weiße Haus eingezogen ist, hat er die Welt fast täglich mit seinen Tweets und Taten schockiert und so viele rote Linien überschritten, dass man leicht aus den Augen verlieren kann, wie gewaltig dieses Urteil wirklich ist. "Heute kennt die Welt endlich die Wahrheit", sagte Carroll in einer Erklärung. "Dieser Sieg ist nicht nur für mich, sondern für jede Frau, die gelitten hat, weil ihr nicht geglaubt wurde."
Als sie das Gerichtsgebäude verließ, lächelte sie.
Urteil zeigt, was für ein Mensch Donald Trump ist
Der Fall ist nicht derjenige, der Trump aus juristischer Sicht am meisten Schaden zufügen wird. Da es sich um einen Zivil- und nicht um einen Strafprozess handelt, droht dem 76-Jährigen keine Gefängnisstrafe. Stattdessen zeigt das Urteil schwarz auf weiß, was für ein Mensch Trump ist.
Dutzende Frauen haben dem Ex-Präsidenten in der Vergangenheit sexuelle Belästigung und Missbrauch vorgeworfen. Jedes Mal wischte er die Vorwürfe wie eine lästige Fliege beiseite. Mal sagte er, er kenne die Frauen gar nicht. Mal, dass die Vorwürfe Teil einer politischen Kampagne gegen ihn seien. Immer wieder rechtfertigte er sich mit den Worten, "sie" sei nicht sein Typ – ein Schlag ins Gesicht jeder Frau, die schon mal sexuell belästigt wurde.
Im Fall von Carroll ging diese "Ausrede" nach hinten los. Die heute 79-jährige hatte ihre Vorwürfe erstmals 2019 öffentlich gemacht. Trump, damals Präsident, wies die Anschuldigungen als Lüge zurück – und erklärte, Carroll sei nicht sein "Typ". Die Autorin verklagte ihn daraufhin zunächst wegen Verleumdung, später in einer zweiten Klage wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung selbst sowie erneut wegen Verleumdung.
Im Gericht zog sich dann letzte Woche die Schlinge zu: Bei der Befragung durch Carrolls Anwältin Roberta Kaplan verwechselte Trump die Klägerin auf einem Foto aus den 1990er Jahren mit seiner damaligen Frau Marla Maples. Ein peinlicher Fehler, sagen die einen. Andere bezeichnen es als Offenbarungsmoment. In jedem Fall schwächte es seine Verteidigungsstrategie.
Trump wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – diese juristischen Probleme hat er noch am Hals

Die heute 79-jährige Carroll hatte Trump beschuldigt, sie im Frühjahr 1996 in der Umkleidekabine des New Yorker Luxus-Kaufhauses Bergdorf Goodman vergewaltigt zu haben. Öffentlich machte die langjährige Kolumnistin des Magazins "Elle" ihren Vorwurf erst 2019, als Trump Präsident war. Trump bezichtigte Carroll der Lüge und erklärte, sie sei nicht sein "Typ".
Strafrechtlich waren die Vorwürfe verjährt, doch zivilrechtlich konnte Carroll gegen den Milliardär vorgehen, und so verklagte Carroll Trump in New York wegen Verleumdung und im vergangenen November in einer zweiten Klage wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung selbst sowie erneut wegen Verleumdung. Sie verlangte Schmerzensgeld und Schadenersatz in nicht genannter Höhe. Weil es sich um einen Zivilprozess und nicht um ein Strafverfahren handelte, drohte Trump keine Gefängnisstrafe.
Für die Geschworenen war der Fall offenbar klar: Nach weniger als dreistündigen Beratungen sprachen sie Carroll fünf Millionen Dollar (rund 4,5 Millionen Euro) zu – zwei Millionen Dollar wegen sexuellen Missbrauchs und drei Millionen Dollar wegen Verleumdung. Ihr Urteil sei für alle Frauen, die ähnliches erlebt hätten, sagte die Autorin nach der Entscheidung. Es gehe ihr nicht um das Geld. Sie habe ihren Namen reinwaschen wollen. Und sie hätte Trump gerne im Zeugenstand vor Gericht gesehen.
Trumps Anwalt Joe Tacopina kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Er verwies unter anderem darauf, dass Carroll Trump stets Vergewaltigung zur Last gelegt habe, die Geschworenen aber lediglich sexuellen Missbrauch anerkannt hätten. Trump selbst reagierte erbost auf den Ausgang des Zivilprozesses. "Dieses Urteil ist eine Schande, eine Fortsetzung der größten Hexenjagd aller Zeiten", wetterte der 76-jährige auf seiner Onlineplattform Truth Social. Mit Blick auf Carroll erklärte Trump: "Ich habe überhaupt keine Ahnung, wer diese Frau ist."
Vor dem Urteil hatte der Ex-Präsident fälschlicherweise behauptet, er habe sich in dem Verfahren nicht "verteidigen" dürfen. Trump war dem Prozess aus eigenen Stücken ferngeblieben, zu einem Erscheinen vor Gericht war er nicht verpflichtet. Trump war während des Prozesses sogar zu einem Golfplatz in Schottland gereist, der ihm gehört.
Für Trump könnte Urteil zum Zünglein an der Waage werden
Am Ende wiesen die Geschworenen zwar den Vorwurf der Vergewaltigung zurück, fanden den Ex-Präsidenten jedoch in den Punkten "sexueller Missbrauch" und "Verleumdung" schuldig. Fünf Millionen Dollar – rund 4,5 Millionen Euro – muss Trump nun an Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen. Teurer wird ihn zu stehen kommen, dass das Urteil seine Glaubwürdigkeit untergräbt. Es wird schwierig, künftige Vorwürfe ähnlicher Art mit der gleichen Vehemenz der "politischen Hexenjagd" zu leugnen, wenn ihn eine Jury bereits dafür verurteilt hat.
Ob das seine Anhänger beeindrucken wird? Vermutlich nicht.
Seit Jahren tänzelt Trump durch einen Sturm aus Skandalen, Affären und Ermittlungen ohne größeren Schaden davonzutragen. Seine Fans haben ihm bisher noch alles durchgehen lassen. Am Dienstag zeigte eine "Morning Consult"-Umfrage Trump mit seinem bisher größten Vorsprung von 60 Prozent vor Floridas Gouverneur Ron DeSantis mit 19 Prozent.
Trump selbst, der sich während des zweiwöchigen Prozesses nicht ein einziges Mal vor Gericht blicken ließ, reagierte wie zu erwarten. Das Urteil bezeichnete er als "Fortsetzung der größten Hexenjagd aller Zeiten". Mit Blick auf Carroll behauptete er "keine Ahnung zu haben", wer diese Frau sei.
Und dennoch könnte "diese Frau" für ihn noch zum Zünglein an der Waage werden.
Politischer Schaden könnte größer als juristischer sein
Inwiefern der Fall für Trump ein politisches Nachspiel haben könnte, wird maßgeblich von zwei Dingen abhängen: Zum einen, ob das Urteil den Ex-Präsidenten in den Augen von moderaten Republikanern und sogenannten Wechselwählern "unwählbar" macht – und sie sich um einen anderen Kandidaten scharen. Zum anderen, ob seine politischen Rivalen die Gunst der Stunde nutzen, um Stimmung gegen Trump zu machen.
In den letzten Jahren hatten die Republikaner ihn im Fall Carroll konsequent verteidigt und seine Unschuld beteuert. Der Schuldspruch könnte diese Dynamik nun ändern. Am Dienstag hielten sich führende Parteimitglieder wie Repräsentantenhaus-Sprecher Kevin McCarthy und Senatsführer Mitch McConnell in der Sache bedeckt.
Doch selbst wenn sich die politischen Kosten für Trump in den Vorwahlen in Grenzen halten, gehen Beobachter davon aus, dass ihm ein Urteil – ebenso wie die Anklage im Schweigegeld-Fall – langfristig schaden wird. Die #MeToo-Bewegung hat der amerikanischen Gesellschaft ihren Stempel aufgedrückt. Studien zeigen, dass eine Mehrheit der Amerikaner nicht bereit ist, einen Kandidaten für ein politisches Amt zu unterstützen, der sexuelle Übergriffe begangen hat.
Es bleibt abzuwarten, ob das Urteil gegen Trump diesen Effekt bestätigt. Fest steht, es wurde höchste Zeit!