Einmal Shanghai, bitte! Der Modellarbeiter aus den USA

Von Tilman Wörtz
Jährlich ehren die Chinesen ihren vorbildlichsten Werktätigen als "Nationalen Modellarbeiter". Nähmen sie sich tatsächlich ein Beispiel an ihm, wären sie bald deutlich größer - und lebten in den USA.

Shanghai boomt so sehr, dass viele behaupten, die Stadt sei ein Modell - für China, für die Welt, selbst für den "urbanen Umweltschutz". Da fragt man sich, woher die Liebe für Modelle kommt und landet bei der Antwort zwangsläufig bei den "Modellarbeitern". Die werden immer noch jedes Jahr von der Stadtregierung ernannt. Eine davon ist die Frau meines Vermieters.

Kurz nach Einzug in die neue Wohnung war ich zum Essen eingeladen. Während sich Familie und Gäste über die Köstlichkeiten hermachten, pendelte sie zwischen Küche und Tisch, schnibbelte Pilze, Flussaal und Hühnerbrust, brutzelte im Wok, servierte, schnibbelte. Sie brachte uns den Tee, als wir zur Verdauung eine eineinhalbstündige Dokumentation von "Shanghai TV" über sie ansahen, in der sie Alte pflegt, mit Kindern singt, die Frauengruppe des Nachbarschaftskomitees leitet. Alles unentgeltlich. Alles für das Wohl aller.

Während wir glotzten, musste sie schon wieder zum nächsten Senioren-Gesangsabend. Die Frau meines Vermieters wird immer wieder zur Modellarbeiterin gewählt. Ihr Einsatz steht außer Frage.

Der berühmteste Modellarbeiter

Shanghais ist Yao Ming, Center bei den Houston Rockets in der NBA. Er ist wahrscheinlich auch der größte, mit 226 Zentimetern. Er lebt natürlich nicht mehr in Shanghai, sondern in Houston, Texas, aber wurde trotzdem schon zwei Mal mit Shanghais größter Ehre ausgezeichnet. Yao Ming ist nicht nur der beliebteste Shanghaier, sondern der beliebteste Chinese überhaupt, deswegen wurde er vom Staatsrat in Peking am ersten Mai zum "Nationalen Modellarbeiter" oder "Lao Mo" ernannt.

Au weia, gab das eine Diskussion vor dem ersten Mai. Wie sollte jemand, der gar nicht mehr in China lebt, außerdem einen luxuriösen Lebensstil pflegt, Vorbild für alle Arbeiter sein? Eben deshalb, sagten seine Fans.

Modells in den USA haben lange Beine und Drogenprobleme, Modells in China dagegen schlechte Zähne und sie arbeiten hart. Seit in den fünfziger Jahren die Lao Mo gewählt werden, haben sie sich vornehmlich unter Bauern, Stahlgießern und Toilettenputzern rekrutiert. Yao Mings Fans hielten dagegen, dass sich die Zeiten nun Mal ändern und damit auch die Lao Mo.

Schließlich seien

seit Ende der siebziger Jahre auch ein paar Hirne von der Uni gewählt worden, nachdem sie in der Kulturrevolution zum Abschaum erklärt worden waren. Mit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes wurde die Klasse der Kapitalisten über die Wahl einiger Unternehmer zum Modellarbeiter rehabilitiert. Sie fuhren sogar BMW und lebten in Wohnungen mit Klimaanlage. Wenn man genau hinschaut, waren das sogar ziemlich viele. Hauptsache Yao Ming zahlt seine Steuern in der Heimat.

130 der 2969 Nationalen Modellarbeiter kommen aus Shanghai. Sie stellten sich zum Gruppenfoto vor der Abreise nach Peking auf dem Volksplatz auf. Alle mit roter Schärpe am Revers, freundlich lächelnd. Es ragte niemand unter den Heroen heraus - Yao Ming musste in Texas gegen die Dallas Mavericks spielen und holte zwanzig Punkte.

Ich frage mich,

was passiert, wenn Yao Ming als Modell tatsächlich funktioniert. Dann wandern alle Chinesen in die USA aus. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Die würden bestimmt nicht Bush wählen. Außerdem würde die Körpergröße der Chinesen deutlich zunehmen. Ausländische Touristen könnten dann endlich auf dem Xiang Yang-Raubkopien Markt Modelle ab Schuhgröße 42 bekommen.

Shanghai ist auch hier mal wieder seiner Zeit voraus. Bisher durften Kinder unter einem Meter zwanzig umsonst in öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Der Wert soll nun auf eins dreißig erhöht werden. Kinder würden heute größer als früher, die Zeiten hätten sich geändert, lautet die Begründung.