Entführungsindustrie Schmutzige Geschäfte im Nigerdelta

Entführungen sind ein Riesengeschäft im Nigerdelta: 2007 haben Entführer bereits knapp 60 Ausländer verschleppt. Die Opfer kommen nur gegen hohes Lösegeld wieder frei - und die Ausländer vor Ort schwanken zwischen Sorge und Zynismus.

Wenn Jürgen Hoffmann (Name geändert, Red.) in die Stadt fährt, dann sitzt er in einem Auto mit dunklen Scheiben. Vor ihm fährt ein Polizeiauto mit blau-weiß-rotem Warnlicht auf dem Dach und einer Auswahl an Sirenentönen, die an einen schlechten Actionfilm erinnern. Wird der Stau zu dicht, wechselt der Konvoi auf die Gegenspur und verschafft sich mit zusätzlichem Dauerhupen freie Bahn. Hoffmann arbeitet in Port Harcourt, dem Zentrum der nigerianischen Ölindustrie im Nigerdelta. "Krisen hat es im Delta immer gegeben, seit dort Öl gefördert wird, aber so schlimm wie jetzt war die Situation für Ausländer noch nie", sagt er.

Seit Anfang des Jahres wurden bereits knapp 60 Ausländer entführt. Derzeit sind noch immer zwei Italiener und ein Franzose in Geiselhaft. Am Montag wurden nach nigerianischen Medienberichten drei Männer aus Kroaten und Montenegro vom Militär befreit. "Entführungen sind ein Riesengeschäft geworden", meint Hoffmann. "Am Anfang mögen noch politische Motive dahinter gesteckt haben, doch mittlerweile geht es nur noch um Geld." Es sei ein Teufelskreis - sobald ein Unternehmen Lösegeld zahle, würden neue Begehrlichkeiten geweckt.

Die jüngste Krise begann Anfang 2006, als eine militante Gruppe auftauchte, die sich "Bewegung für die Befreiung des Nigerdeltas" (MEND) nannte. Sie verübte Anschläge auf Ölanlagen und entführte Ausländer. Niemand weiß, wer hinter diese Gruppe steht. Ein Sprecher namens Jomo Gbomo versendet E-Mails, in denen er mit harschen Worten die Ausbeutung des Nigerdeltas durch die nigerianische Regierung und ausländische Konzerne geißelt und mit weiteren Anschlägen droht. MEND fordert unter anderem 1,5 Milliarden Dollar als Kompensation für Umweltschäden, die Freilassung eines Rebellenführers und den Abzug der ausländischen Ölkonzerne aus dem Delta.

Firmen zogen sich aus dem Delta zurück

Nach mehreren Anschlägen stellte der Ölkonzern Shell seine Aktivitäten im westlichen Nigerdelta komplett ein und verlor damit etwa die Hälfte seiner Ölproduktion. Einige Baufirmen, unter anderem die US-Firma Willbros, zogen sich ganz aus dem Delta zurück. Die Krise in Nigeria ließ den Ölpreis auf dem Weltmarkt weiter steigen. Das Beispiel von MEND machte Schule. Alle möglichen kriminellen Gruppen begannen Ausländer zu entführen und Lösegeld zu verlangen.

Shell und andere Unternehmen haben ihre Sicherheitsmaßnahmen drastisch verstärkt. Familien wurden nach Hause geschickt, Angestellte dürfen sich in der Stadt nicht mehr ohne bewaffnete Eskorte bewegen, das Firmengelände ist ähnlich gesichert wie die "Green Zone" (Regierungsviertel) in Bagdad. "Wir haben nicht vor, uns aus dem Delta zurückzuziehen", sagt ein leitender Shell-Mitarbeiter. "Aber wir müssen alles tun, um die Sicherheit unserer Angestellten zu gewährleisten."

Die Ausländer, die noch im Delta arbeiten, überspielen ihre Sorge mit Zynismus. Auf die Frage, wie lange die Fahrt vom Hotel zum Flughafen dauere, antwortet Hoffmann mit schiefem Grinsen: "Zwischen einer halben Stunde und sechs Monaten."

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Ulrike Koltermann/DPA