EU-Beitrittsverhandlungen Ein "Ja" für die Türkei erwartet

Die EU-Kommission wird an diesem Mittwoch die Weichen stellen - für oder gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Eine positive Empfehlung der Kommission wird erwartet.

Mit großer Wahrscheinlichkeit empfielt die EU-Kommission an diesem Mittwoch Beitrttsverhandlungen mit der Türkei, die vor gut 17 Jahren einen Antrag auf Mitgliedschaften in der Europäischen Union gestellt hatte. Bis zuletzt dürften in der Kommission Gegner und Befürworter um mögliche Auflagen für die Verhandlungen ringen. Auf Grundlage der Kommissionsempfehlung werden die EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember über den Beginn von Verhandlungen entscheiden.

Türkei wird behandelt wie jedes andere Land

Kommissionspräsident Romano Prodi sagte der Nachrichtenagentur Reuters in Brüssel, die Kommission werde die Türkei behandeln wie jedes andere Beitrittsland: Die Menschenrechte müssten respektiert werden. Diese Bedingung habe auch für frühere Beitrittsländer gegolten. Wenn die Kommission die Aufnahme von Verhandlungen empfiehlt, müssen die Staats- und Regierungschefs im Dezember dies noch bestätigen und den Starttermin festlegen.

Die EU-Kommission geht im Entwurf ihrer Empfehlung davon aus, dass die Türkei mit ihren zahlreichen Reformen der vergangenen Jahre die politischen Bedingungen für Verhandlungen ausreichend erfüllt. Falls die Türkei während der Verhandlungen dauerhaft und ernstlich gegen Menschenrechte oder demokratische Prinzipien verstößt, sollen die Verhandlungen von der EU ausgesetzt werden können. Ohnehin rechnet die Behörde mit einem langen Verhandlungsprozess, der mindestens bis 2015 dauern könnte. Um die Arbeitsmärkte in den reicheren Ländern der jetzigen EU zu schützen, sind lange Übergangsfristen für den Zugang von Türken etwa zum deutschen Arbeitsmarkt geplant.

"Ungeheurer Stabilitätzuwachs"

Nach Auffassung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) brächte eine EU-Mitgliedschaft des Landes einen "ungeheuren Stabilitätszuwachs". Der Chef des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), Anton Börner, warnte in der "Berliner Zeitung" vor einem Scheitern der Verhandlungen: "Schlagen wir die Türe zur EU heute zu, fiele die Türkei als Partner, Mittler und Vorbild für die dringend notwendigen Reformbewegungen der islamischen Länder aus." Der Vizepräsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Arend Oetker, sagte: "Das wird sich enorm positiv auf Investitionen in der Türkei, in Deutschland sowie auf den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern auswirken."

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok warnte, aus der EU drohe eine "Flickenteppich-Gemeinschaft" zu werden. "Eine Vollmitgliedschaft der Türkei ist auf Dauer unmöglich", sagte Brok. Das gelte für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ebenso wie für die Teilnahme an der Agrar- und Strukturpolitik.

Für eine Aufnahme der Türkei sprach sich die frühere FDP- Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus. Für realistisch halte sie eine Wartezeit der Türkei von zehn bis elf Jahren, sagte sie der "Thüringer Allgemeinen".

Gegen eine Volkbefragung

Mehrere Politiker von SPD, Union und Grünen wandten sich gegen eine Volksabstimmung zum Thema in Deutschland. "Ich bin gegen Ein-Thema-Volksbefragungen", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz der "Netzeitung". Gleichzeitig sprach sich der Politiker für den von der SPD geplanten Gesetzentwurf über eine Ermöglichung von Volksabstimmungen beispielsweise über eine EU-Verfassung aus. "Grundsätzliche Bedenken" gegen direkte Demokratie äußerte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU).

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble sagte dem "Mannheimer Morgen", er bleibe bei seiner "grundsätzlichen Ablehnung" von Referenden. Der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sagte, ein Türkei-Referendum wie in Frankreich ziele nur darauf ab, den Beitritt zu verhindern.

Frankreich und Österreich gegen einen Beitritt der Türkei

In zahlreichen EU-Ländern gibt es ebenfalls Vorbehalte gegen einen türkischen Beitritt. In Frankreich hat Präsident Jacques Chirac eine Volksabstimmung darüber angekündigt, auch um die dort unpopuläre Annäherung der Türkei von der Debatte vor dem Referendum über die EU-Verfassung im kommenden Jahr zu trennen. In Österreich steht der konservative Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in seiner Koalition mit der rechten FPÖ unter Druck, keine vorbehaltlosen Verhandlungen zu ermöglichen.

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DPA/Reuters