Fragen Sie mal Pinki und Sudhir Shah im armseligen Zeltlager von Bihar But im Überschwemmungsgebiet des Kosi Flusses, was sie von "Gustav", von "Hanna" von "Ike" halten. Das Ehepaar würde sie groß anschauen und dann schüchtern sagen: "Diese Namen kennen wir nicht." Pinki hat gerade eine Kind geboren, eine Tochter, und ihre Tante sagt mit tief bewegender Poesie: "Wir nennen das Mädchen Kosi Rani (Kosi Königin). Der Kosi Fluss hat uns weggeschwemmt und sie ist im Bett des Kosi geboren." Die armen Leute von Bihar unter ihren Zeltplanen haben die angekündigte Mega-Katastrophe von New Orleans so wenig zur Kenntnis genommen wie die übrige Welt lange Zeit ihr Überschwemmungs-Desaster. Denn fast gleichzeitig mit der Überflutung der Wohngebiete von fast drei Millionen Menschen im Norden Indiens an der Grenze zu Nepal stürmte ein Hurrikan auf die amerikanische Golfküste und die internationale Mediengesellschaft zu.
Der Bürgermeister von New Orleans fand für den Wirbelsturm Gustav das markige und ein bisschen schiefe Wort von der "Mutter aller Stürme" und ließ mit Hinblick auf den verheerenden Hurrikan "Katrina" und seine noch verheerendere Bewältigung vor drei Jahren die Stadt räumen. Die ganze Welt schaute gebannt bei der Evakuierung zu.
Todesmutige Reporter in New Orleans
Heerscharen von todesmutigen Reportern gingen in New Orleans in Stellung, Präsidentschaftskandidat John McCain packte medienwirksam Notrationen für die Betroffenen - und dann wirbelte sich Gustav "weniger stark als befürchtet" an New Orleans vorbei, zum leisen Bedauern der todesmutigen Reporter und der quotenbewussten TV-Stationen. Mühsam rettete sich das mediale Großaufgebot in die Präsentation von ein paar abgedeckten Dächern im Umland, die in USA anscheinend unvermeidlichen Stromausfälle und in die ominöse Gefahr durch einen Nachfolge-Hurrikan "Hanna" - inzwischen zum "tropischen Tiefdruckgebiet" herabgestuft - und einen dritten Wirbelsturm noch im Embryonalstadium, den Hurrikan "Ike".
Während diese vorhergesagte und tagelang vorausberichtete Katastrophe also nicht eintrat - Gott sei Dank, das sei hier deutlich gesagt - waren in Bihar drei Millionen Menschen tatsächlich obdachlos geworden, hatten das kleine Bisschen, was sie überhaupt besitzen, wirklich verloren, ist die Zahl der Todesopfer auf Grund der völlig unübersichtlichen Lage nicht abzuschätzen und die Seuchengefahr ohne Zweifel akut, weil für die meisten der Menschen in den Überschwemmungsgebieten das verschmutzte Flusswasser das einzige Trinkwasser ist. Die Hilfsmaßnahmen der Behörden im ärmsten Bundesstaat Bihar kommen wegen der schwierigen Transportverhältnisse und der chronischen Rivalitäten in der indischen Bürokratie nur schwer voran. Ein Abklingen der Überschwemmung ist über Wochen oder sogar Monate nicht zu erwarten. Noch ist die Monsunzeit nicht vorbei und die Wassermassen aus dem Himalaya, die durch die gebrochenen Dämme rund 70.000 Hektar überfluteten, nehmen bisher nicht ab.
70.000 Hektar überflutet
Überschwemmungen sind die Menschen am Kosi gewohnt. Denn nach dem Übertritt von Nepal auf indisches Territorium teilt der Fluss sich in ein Geflecht von Wasserläufen, die ähnlich wie der Nil fruchtbaren Schlamm mit sich tragen und alljährlich die Felder der Bauern überschwemmen und düngen. Deshalb ist das Gebiet dicht besiedelt, obwohl vom Kosi ständig Gefahr droht. Er heißt auch "River of Sorrow", Kummer-Fluss. In den vergangenen 250 Jahren hat sich das Bett des Kosi um 120 Kilometer von Osten nach Westen verschoben, oft mit katastrophalen Folgen für die Anlieger. Nach einer großen Überschwemmung 1954 wurde der Kosi allerdings weitgehend eingedämmt, seither gab es nur noch lokale Hochwasser.
Bis zum 18. August dieses Jahres. Da brach ein Hauptdamm noch auf der nepalesischen Seite und Bihar musste "Land unter" melden. Wer konnte, watete mit seiner Familie in die Sicherheit eines erhöhten Ortes oder einer angrenzenden Region. Alte und Kranke blieben oft zurück - viele Schicksale sind noch immer weitgehend ungeklärt.
Erst seit mit dem Wirbelsturm Gustav auch der Mediensturm um New Orleans abflaute, rückt nun langsam die Wasserkatstrophe von Bihar in den Medien nach vorne. Doch es wäre ungerecht, allein das internationale Desinteresse an Drittwelt-Unglücken zu tadeln. Auch in der indischen Presse lief die Überschwemmung im armen, rückständigen Bihar angesichts des zeitgleichen des Streits um das Nano-Werk der Firma Tata bei Kalkutta, der Christenverfolgung in Orissa und der anstehenden Ganesh-Festtage lange Zeit nur als ein Desaster unter vielen.