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Schriftsteller und Dramatiker Franzobel: "Manchmal will man auswandern, Amok laufen – oder dagegen anschreiben!"

Mit Seitenscheitel und runder Brille blickt der Schriftsteller Franzobel in die Kamera. Er trägt ein Wolljackett
Schriftsteller Franzobel gewann 1995 den renommierten Bachmann-Preis und war 2017 mit "Das Floß der Medusa" für den Deutschen Buchpreis nominiert
© Arne Dedert / DPA
Der Schriftsteller Franzobel über Zerrissenheit und Scheinheiligkeit in seinem Heimatland Österreich – und die Politik der permanenten Grenzüberschreitung. Teil 2 einer Mini-Serie über Deutschlands südlichen Nachbarn.

Österreich - Deutschlands südlicher Nachbar steht nicht zuletzt wegen seiner rechtskonservativen Regierung unter besonderer Beobachtung. Was ist das für ein Land? Von welchen Stimmungen wird es aktuell geprägt? Der stern suchte und fand Antworten in fünf Gesprächen mit namhaften Österreichern. Heute: der Schriftsteller, Dramatiker und Bachmannpreisträger Franzobel.

Lieber Franzobel, Sie waren gerade auf dem Wiener Opernball, den die Schriftsteller Österreichs traditionell eher meiden. Wie kam's?

Für mich ist das der Maturaball der Republik, ich sehe die überkandidelte Gesellschaft ironisch. Aber meine Frau liebt diese Veranstaltung, der Opernball ist für sie wie ein zweiter Hochzeitstag, alleine das Aussuchen des Ballkleides macht ihr eine Riesenfreud. Opernball und Neujahrskonzert galten lange als wichtigste kulturelle Aushängeschilder.

Was Österreich heute ausmacht

Österreich feiert, Österreich gedenkt: Vor 100 Jahren wurde die Republik gegründet, vor 80 Jahren endete sie vorerst im unheilvollen Anschluss an das NS-Reich. Auch heute steht das Land wegen seiner rechtskonservativen Regierung unter kritischer Beobachtung, gleichzeitig erreicht der junge Bundeskanzler auch in Deutschland erstaunliche Beliebtheitswerte. Der stern führte fünf Gespräche mit namhaften Österreichern – über Geschichte, Gegenwart und diese besondere Mentalität ihres Landes.

Sind Österreichs Popacts, also Wanda, Bilderbuch, Yung Hurn oder Ja, Panik – nicht längst bedeutender für das Image?

Ich muss zugeben, dass mir diese Bands nicht sehr präsent sind, ich bin noch bei Georg Danzer und Ludwig Hirsch. Außer Wanda, die meine Frau hört. Mir ist auch egal, was gerade wie im Ausland ankommt, an welchen Wänden der "Plattgoldgustl" grade pickt...

...der wer?

Achso, Verzeihung, "Plattgoldgustl" – so nennen wir den Klimt. Es gibt ein Österreich, das für die Welt erfunden worden ist, und es gibt ein Österreich, das nur den Eingeborenen zugänglich ist.

Aha, wie sieht denn dieses "geheime Österreich" aus?

Es ist jener Teil Österreichs, den der Tourismusverband noch nicht in die Finger gekriegt hat – wer weiß wie lange es das noch gibt. Touristen lieben das glänzende, goldene, walzerselige Wien, aber wir selbst mögen das grindige, die etwas verwahrlosten Ecken, das Schlampige, den Balkan.

Wieso ist das Land so gespalten?

Gute Frage, für ein derart kleines Land gibt es erstaunlich viele Gegensätze. Aber selbst die Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts, die im Präsidentschaftswahlkampf 2016 massiv und unüberwindlich erschienen war, ist erst erbittert geführt und dann nicht mehr besonders ernst genommen worden. Das geht auch nicht, man würde im Alltag damit verrückt werden.

Ist dieser Zwist nicht Motor für die Kunst? Was wären Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek ohne die Reibung mit ihrem Land?

Das stimmt auf jeden Fall, es gibt vielfältige Formen an Grauslichkeiten und Spießigkeiten in Österreich, gegen die man als Künstler kämpfen muss. Man braucht nur eine dieser Gratiszeitungen oder die "Krone" aufschlagen, oder ein bisschen verfolgen, was die Regierung gerade so macht – und schon stellt es einem die Haare auf und man will sofort auswandern, Amok laufen oder, als gemäßigtere Form, dagegen anschreiben. Viele kehren aber in ihre Gemütlichkeitsblase zurück, wo manche auch gut überwintern. Und einen politisch strengen Winter haben wir mit der neuen Regierung auf jeden Fall.

Spielt das in Ihrem literarischen Werk eine Rolle?

Bei mir ist es die Sprache, dieses besondere Kommunizieren in Österreich, das hat sich tief eingeprägt. Der Wiener Schmäh, die Ironie, das Verspielte. Ich könnte nur schwer in eine andere deutschsprachige Stadt außerhalb Österreichs ziehen. Die Scheinheiligkeit und der Biedermeier hier sind aber schon ein Antrieb. Das was früher die Mauer in Deutschland war, steht bei uns noch immer, auch wenn es nicht sichtbar ist. Glücklicherweise sind wir als Sportnation so exorbitant schlecht, dass den Österreichern nur die Kunst bleibt, die von der Bevölkerung natürlich trotzdem mit Inbrunst verachtet wird.

Wie wichtig wirken die Künstler auf den politischen Diskurs? Bewegt etwa Stefanie Sargnagel etwas mit ihrer "Burschenschaft Hysteria", dieser artifiziellen matriarchalischen Version der mächtigen deutschnationalen Männerbünde?

Ich weiß nicht, natürlich ist das gut und wichtig. Aber das hält doch diese Leute nicht auf. Burschenschafter sitzen überall in den Ministerien und auf wichtigen Positionen. Einzelfälle wie diese judenfeindliche Liedstrophe aus einer Verbindung häufen sich. Die Menschen werden immer mehr dran gewöhnt. Die FPÖ ist eine permanente Grenzüberschreitung. Ehemalige Mitglieder paramilitärischer und verbotener Organisationen sitzen an den Schaltstellen der Macht. An der Staatsspitze haben wir zum Teil Leute, die von einem Großdeutschen Reich träumen und in Kategorien wie Rasse und Lebensraum denken.

Christoph Waltz wurde gefragt, was der Unterschied zwischen Österreichern und Deutschen sei. Er sagte: Die Österreicher sind höflicher, aber Sie meinen es nicht so.

Haha, ja das trifft es gut. Karl Kraus hat die Frage anders beantwortet: Was die Österreicher und die Deutschen voneinander trennt, ist die gemeinsame Sprache.

Wie lautet Franzobels eigene Antwort auf diese Frage?

Vielleicht so: Die Österreicher und die Deutschen sind gemeinsam Täter geworden, aber nur die Österreicher haben das Talent besessen, die Welt und auch sich selbst davon zu überzeugen, Opfer zu sein.

Mehr zum Thema Österreich lesen Sie im neuen stern.

Interview: David Baum

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