Andleeb Adwan, 58, wurde als eines von 13 Geschwister-Kindern in dem palästinensischen Flüchtlingslager Rafah im Süden Gazas geboren. Heute leitet sie das Community Media Center in Gaza-Stadt. Mit dem stern kommunizierte sie in den vergangenen Tagen über Sprachnachrichten. So erlebte sie die israelischen Angriffe:
"Ich bin so müde. Ich kann nicht mehr sprechen, meine Gedanken nicht mehr äußern. Jeden Tag, jede Sekunde, sind in Medien Bilder und Videos von den Trümmern im Umlauf, unter denen wir gerade leben. Welchen Wert haben diese Bilder, was bewirken sie? Sie helfen uns nicht, retten nicht die mehreren tausend Frauen und Kinder, die verwundet wurden und denen der Platz im Krankenhaus fehlt. Denjenigen, die ihr Zuhause verlassen mussten und sich jetzt in Schulen vor den Bomben verstecken.
Mein Mann ist in Ägypten, schon bevor der Krieg begann. Als am letzten Samstag die Angriff losgingen, verließen wir unser Haus sofort. Mein Sohn ist Journalist bei einer japanischen Agentur. Er konnte nicht bei uns bleiben, deshalb kommen ich, meine Schwiegertochter und die zwei Kinder bei ihrer Familie unter. Die ersten Nächte waren schlimm, aber wir überstanden sie irgendwie. Aber in der dritten Nacht bombardierten sie alles um uns herum zu Schutt und Asche. Zusammengekauert saßen wir 20 Stunden lang in einem winzigen Kellerraum. Um zwölf am Mittag begann der Beschuss und dauerte bis neun am nächsten Morgen. Als es vorüber war, liefen wir raus. Jedes Fenster, jede Tür, die Bäume, der Garten, alles zerstört. Dass wir die Nacht in diesem Haus überlebt haben, gleicht einem Wunder.
Zwei Stunden später riefen die Nachbarn uns an. Sie sagten, die Israelis hätten sie gerade gewarnt: Man würde gleich auf die zwei Hochhäuser uns gegenüber schießen. Schnell flohen wir, rannten über den Schutt – das Auto konnten wir nicht nehmen, weil die Straße zerstört ist. Als wir zu einer Straße kamen, holte mein Sohn uns mit dem Auto ab und fuhr uns zu einem Hotel am Strand. Nach einer halben Stunde kam er zurück, schreiend: "Schnell, sie schießen auf die Hotels!" Wir flohen und kamen im Haus vom Onkel meiner Schwiegertochter unter.
Leben in Gaza: Die ständige Flucht vor Angriffen
Am nächsten Morgen rief jemand vom Hotel an: Es sei jetzt sicher dort, wir könnten kommen. Wir saßen eine halbe Stunde in der Lobby und warteten, während sie die Zimmer für uns vorbereiteten. Plötzlich fingen sie auch dort zu schießen an, vom Meer aus. Sie schossen auf das Hotel direkt gegenüber von unserem. Darin arbeiteten Journalisten internationaler Medien. Wir rannten raus und sahen von der Straße Rauch aufsteigen. Wir hielten uns die Nasen mit unseren Kleidern zu, die wir anhatten und rannten zum Auto. Jetzt sind wir wieder beim Onkel meiner Schwiegertochter.
30 Leute in einem Haus, Erwachsene und Kinder. Uns fehlt Trinkwasser. Die Kinder sind sehr schwierig, nervös und aggressiv gegeneinander. Die Erwachsenen müde, weil wir nicht schlafen. Wir machen gar nichts, kommunizieren nur mit unseren Freunden und Verwandten über unsere Handys.
Überall ist Zerstörung. Tote Menschen. Frauen, Kinder. Wir halten zusammen und fliehen von einem Ort zum anderen. Sogar dorthin, wo man sich in Sicherheit wähnte, folgt einem der Tod. Meine Kollegin ist vom Norden Gazas nach Dir el Balah im Süden zu ihren Verwandten geflohen. Früher machte sie immer Witze, dass es dort friedlich sei, dass man dort Sicherheit hätte. Jetzt wurden sie bombardiert. Ihre Mutter wurde getötet, der Mann ihrer Schwester, deren Sohn. Der Vater ist auf der Intensivstation. Sie hatte erst davon nichts mitbekommen, weil sie mit ihren zwei Söhnen im Krankenhaus war – um die Brandverletzungen der beiden behandeln zu lassen.
Ich kann nicht mehr sprechen. Mir fehlen alle Worte, auf Englisch, aber auch auf Arabisch."