Geheimdienste "Sie sind so gut wie tot"

Der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Beth ist verantwortlich für die gezielte Tötung von militanten Palästinenser-Führern. Mit High-Tech und Humanquellen spürt er die Opfer auf. Der Verlust von unschuldigen Zivilisten wird dabei in Kauf genommen.

"Sie sind so gut wie tot", sagte Israels Ministerpräsident Ariel Scharon Anfang September über die führenden Köpfe der Hamas. Die Islamisten nahmen die Drohung sehr ernst. Nach Berichten aus Gaza sind die Hamas-Führer untergetaucht. Sie verkleiden sich, wechseln dauernd ihre Wohnungen, fahren nur noch Taxi oder Fahrrad und verzichten auf den Gebrauch von Mobiltelefonen. Dennoch verfügt Israel über Mittel, sie zu lokalisieren.

Aufklärungsflugzeuge schießen Fotos

Die moderne Technik macht vieles möglich. Selbst ein ausgeschaltetes Handy kann den Aufenthaltsort seines Besitzers verraten. In zwölf Kilometer Höhe schießen Fotos, auf denen selbst Gesichter noch erkennbar sind. Mit modernsten Ferngläsern beobachten israelische Geheimdienstbeamte das Geschehen am Boden. Die rasante technische Entwicklung hat jedoch traditionelles Spionagehandwerk nicht überflüssig gemacht.

So genannte Humanquellen sind für den israelischen Geheimdienst das Allerwichtigste, ist Ronni Shaked, Terrorismusexperte und Mitarbeiter der israelischen Zeitung "Jediot Achronot", überzeugt. "Ohne sie lässt sich überhaupt nichts herausfinden." Bevor ein militanter Palästinenser ins Visier genommen werden kann, muss ein erster Hinweis auf ihn, seine Wohnung, sein Fahrzeug eingehen. Erst dann können seine Bewegungen mit technischen Mitteln weiter überwacht werden.

Hunderte Palästinenser für Schin Beth

Hunderte Palästinenser, so schätzt Shaked, arbeiten für den israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Beth. Die Not und die alltäglichen Probleme in den Palästinensergebieten erleichtern das Anwerben von Informanten. Als Anreiz für die lebensgefährliche Kollaboration reicht manchmal schon eine Arbeitsgenehmigung in Israel. Eine gute "Quelle" in einer militanten Organisation ist aber nicht von heute auf morgen für Geld zu bekommen. Seit 1967, als Israel den Gazastreifen und das Westjordanland eroberte, bemüht sich der Geheimdienst intensiv um palästinensische "IMs".

Ein wichtiges Gebot für die israelischen Sicherheitsdienste lautet: Lerne die Sprache deines Feindes. Arabisch ist die zweite offizielle Sprache in Israel. Sie wird an praktisch jeder höheren Schule gelehrt. Die Armee bietet Soldaten Intensivkurse an. Trotzdem ist der Strom des arabischen Geheimdienstmaterials so groß, dass nicht alles übersetzt werden kann.

"Nur Engel machen keine Fehler"

Wenn schließlich die Entscheidung gefallen ist, einen Palästinenser gezielt zu töten und er ins Visier geraten ist, muss alles blitzschnell gehen. Sekundenbruchteile entscheiden über den Erfolg der tödlichen Aktion. Die von Kampfflugzeugen oder Hubschraubern abgefeuerten Geschosse und Raketen sind zentimetergenau. Im Idealfall für die Israelis trifft der Schuss nur den todgeweihten Extremisten, ohne Unbeteiligte zu verletzen. "Unschuldige dürfen nicht getötet werden", betont Shaked ganz entschieden und fügt im selben Atemzug hinzu: "Wir Israelis sind auch nur Menschen. Nur Engel machen keine Fehler."

Im August 2001 töteten drei Raketen den Chef der radikalen Palästinensischen Volksbefreiungsfront (PFLP), Abu Ali Mustafa, in Ramallah. Mustafa saß im seinem Büro im vierten Stock eines Gebäudes, als die Geschosse einschlugen. Von den Bewohnern des Hauses wurden lediglich vier leicht verletzt. Im Juli 2002 feuerte ein israelisches Kampfflugzeug zwei Raketen auf das Haus des Hamas-Führers Salach Schehade in Gaza. Diesmal starben außer ihm weitere 14 Palästinenser, darunter mehrere Kinder. Der Angriff löste weltweite Empörung aus.

Mindestens 100 Palästinenser gezielt getötet

In den vergangenen drei Jahren haben die israelischen Streitkräfte nach Schätzung von Shaked mindestens 100 Palästinenser gezielt getötet. Dieses Vorgehen wird international immer wieder verurteilt. Geheimdienstkollegen weltweit sind trotzdem neidisch auf die israelischen "Erfolge", wie Shaked nach eigener Aussage in Gesprächen immer wieder erfährt.

Der israelische Geheimdienst sei allerdings nicht immer glücklich über die gezielten Tötungen. Die mehrere tausend Mitglieder zählende Hamas kann ihre Kader schnell ersetzen. Die neuen Führer sind anfangs zwar nicht so erfahren wie ihre Vorgänger, aber auch für Israel oft zunächst unbeschriebene Blätter. Ein führender Geheimdienstmann klagte: "Wir haben noch nicht herausgefunden, wie man eine Leiche verhören kann."

DPA
Bernhard Sprengel