Die Iraker stellen bei der Wahl der Nationalversammlung am Sonntag die Weichen für die Zukunft ihres Landes. Zunächst wird die Nationalversammlung einen Präsidenten und zwei Stellvertreter wählen. Dieser Präsidentschaftsrat bestimmt einen Ministerpräsidenten für die Regierungsarbeit. Alle Minister und der Regierungschef müssen vom Parlament bestätigt werden.
Die Hauptaufgabe der Nationalversammlung ist es jedoch, eine Verfassung zu entwerfen, über die die Bevölkerung am 15. Oktober abstimmen soll. Gibt es eine Mehrheit für den Entwurf, soll auf Basis der neuen Verfassung bis spätestens 15. Dezember eine weitere Wahl angesetzt werden. Die daraus hervorgehende Regierung soll dann Ende dieses Jahres die Amtsgeschäfte übernehmen.
Am Wahltag sollen die 5.220 Stimmlokale von 07.00 bis 17.00 Uhr Ortszeit (05.00 bis 15.00 Uhr MEZ) geöffnet sein. Wahlberechtigt sind rund 14 Millionen Personen im Irak sowie 1,2 Millionen im Ausland.
Höhe der Wahlbeteiligung ungewiss
Die spannendste Frage am Wahltag wird die Höhe der Wahlbeteiligung angesichts der massiven Bedrohung durch Aufständische. Wenn die Sunniten trotz der täglichen Einschüchterungen und Mordanschläge in großer Zahl ihre Stimme abgeben würden, könnte dies den Anfang vom Ende des Aufstands bedeuten und den Tag näher bringen, an dem die USA ihre 150.000 Soldaten abziehen könnten. Doch wenn die Mehrheit der Sunniten zu Hause bleibt, würde dies wohl die Legitimität der neuen Regierung untergraben, die Kluft zwischen sunnitischer Minderheit und schiitischer Mehrheit vertiefen und die US-Streitkräfte auf Jahre hinaus für den Kampf gegen einen entschlossenen Gegner im Land halten.
Scharfe Sicherheitsvorkehrungen
Um eine hohe Wahlbeteiligung zu fördern, haben die amerikanischen und irakischen Behörden massive Sicherheitsvorkehrungen getroffen, darunter die Schließung der Landesgrenzen und des Flughafens von Bagdad sowie die Ausweitung des Ausgehverbots. Das Endergebnis wird voraussichtlich frühestens in einer Woche feststehen. Vorläufige Zahlen werden aber schon in den ersten Stunden nach Schließung der Wahllokale erwartet.
Zur Wahl stehen keine Einzelpersonen, sondern Listen von Kandidaten. Die besten Aussichten hat dabei wohl die Vereinigte Irakische Allianz, die die Unterstützung des obersten Geistlichen der irakischen Schiiten, des Großayatollahs Ali al Sistani, genießt. Daneben wird ein hoher Stimmenanteil für die Irakische Liste von Übergangsministerpräsident Ajad Allawi erwartet. Die Kurden, etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, werden wohl mehrheitlich für die Liste der Kurdischen Allianz stimmen. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass mindestens 30 Prozent der Kandidaten auf jeder Liste Frauen sind.
<zwitii>Angst vor neuer Welle der Gewalt
Bei den Schiiten, die etwa 60 Prozent der 26 Millionen Iraker stellen, wird eine hohe Wahlbeteiligung erwartet. Sie werden von ihren Geistlichen zur Stimmabgabe angehalten, die nach Generationen sunnitischer Vorherrschaft die Übernahme der politischen Macht in greifbarer Nähe sehen. Wenn sich die Sunniten bei einer geringen Beteiligung von der neuen Regierung nicht vertreten fühlen, könnte dies nach den Worten von Innenminister Falah al Nakib eine Spirale der Gewalt bis hin zum Bürgerkrieg in Gang setzen.