Humanitäre Katastrophe "Kinder werden sterben"

Hunderttausende Flüchtlinge, Verletzte und Tote, zerstörte Wasserleitungen, lahmgelegte Stromnetze - das Szenario, das nach Beginn des Krieges gegen den Irak zu erwarten ist, könnte bedrückender kaum sein. Hilfsorganisationen befürchten das Schlimmste.

Schon in den nächsten Tagen dürften UN-Schätzungen zufolge drei Millionen Frauen und Kinder auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen sein. Rund 1,3 Millionen Kindern unter fünf Jahren drohe der Tod durch Unterernährung, hieß es. Um die Arbeit in Irak auch in den nächsten Monaten fortsetzen zu können, appellierte die Hilfsorganisation Help an die amerikanischen Militärs, so schnell wie möglich humanitäre Korridore zu schaffen. Viele Organisationen riefen zu Spenden auf.

Bis zu zwei Millionen Flüchtlinge

Auch unter den erwarteten Flüchtlingsströmen droht eine humanitäre Katastrophe. Derzeit wird mit bis zu zwei Millionen Flüchtlingen gerechnet, die in die Nachbarländer -insbesondere nach Jordanien und in Iran - fliehen könnten. Aber auch in Syrien werden nach Angaben von Caritas International mindestens eine halbe Million Flüchtlinge erwartet. Schon jetzt seien dort 40.000 Flüchtlinge eingetroffen, hieß es. Tausende Kurden haben bereits aus Angst vor Giftgasangriffen Städte in Nordirak verlassen und auch im irakisch-jordanischen Grenzgebiet trafen erste Flüchtlinge ein.

Die Flüchtlingsbewegungen in Richtung Iran sollen schon eingesetzt haben. Das Land hatte seine Grenzen kurz nach dem Beginn der Angriffe geschlossen, inzwischen jedoch vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Soforthilfen von über einer Million Euro erhalten. Der Betrag soll für Flüchtlingslager in der südwestlichen Grenzprovinz Chusestan verwendet werden. Im Golfkrieg 1991 hatte Iran 1,3 Millionen irakische Flüchtlinge aufgenommen. Diesmal sind 20 Lager innerhalb von Pufferzonen geplant, in denen 570.000 Flüchtlinge aufgefangen werden können. Dafür fordert Teheran jedoch über 15 Millionen Euro vom UNHCR.

Schon jetzt sind viele Iraker unterernährt

Am schlimmsten dürfte es allerdings die irakische Zivilbevölkerung treffen. "Schon jetzt sind Unterernährung und chronische Mangelernährung weit verbreitet", beschreibt Christine Decker von Caritas International in Freiburg die Situation im Irak. Nach Angaben von Care Deutschland waren bereits vor Kriegsbeginn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in Süd- und Zentralirak auf staatliche Lebensmittelrationen aus dem Öl für Lebensmittelprogramm angewiesen.

Viele Menschen hätten in den vergangen Jahren buchstäblich all ihr Hab und Gut verkauft, um zu überleben. Die Kindersterblichkeit hat in Irak in den vergangen zwölf Jahren die weltweit höchste Steigerungsrate erreicht. Nach Ansicht von Experten steht das Trinkwasser- und Abwassersystem, das von den empfindlichen Stromversorgungssysteme abhängt, wegen der Zerstörungen des zweiten Golfkriegs und den Folgen des Embargos schon jetzt kurz vor dem Zusammenbruch.

Wasser- und Stromversorgung vor dem Kollaps

Nur jeder fünfte Iraker verfügt derzeit über sicheren Zugang zu Trinkwasser, so Schätzungen. Ein Bombardement der ohnehin mangelhaften Infrastruktur durch die alliierten Truppen könnte schon nach wenigen Tagen den völligen Zusammenbruch der Wasserversorgung zur Folge haben - Epidemien wie Cholera, Ruhr oder Typhus könnten ausbrechen. Bereits jetzt sind Millionen irakischer Kinder krank und unterernährt. Ein durchschnittliches irakisches Kind unter fünf Jahren leidet 14 mal pro Jahr an akutem Durchfall.

Um die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen und Verletzte und Flüchtlinge behandeln zu können, haben Hilfsorganisationen bereits vor Monaten begonnen, sich auf den Ernstfall vorzubereiten: Kliniken wurden mit medizinischen Geräten und Medikamenten ausgerüstet, Generatoren für die Notstromversorgung angeschafft, Wasserreservoirs wurden angelegt. Zur Finanzierung humanitärer Hilfe für die irakische Bevölkerung benötigt allein das Rote Kreuz nach eigenen Angaben Mittel in Höhe von knapp 150 Millionen Euro. Rund die Hälfte des Geldes soll an die nationalen Mitgliedorganisationen für die Flüchtlingshilfe in Iraks Nachbarstaaten fließen.

"Die Kinder sind unschuldige Opfer des Krieges"

Mit rund 60 Mitarbeitern betreut auch die Hilfsorganisation CARE im Irak Programme, in deren Mittelpunkt vor allem das Wohlergehen der Jüngsten steht. "Die irakischen Kinder sind unschuldige Opfer dieses Krieges. Sie brauchen unser Mitgefühl und unseren Beistand - oder der humanitäre Preis dieses Krieges wird immens sein", warnt Edith Wallmeier, Nothilfe-Koordinatorin von CARE Deutschland. "Kinder werden in diesem Krieg sterben, das ist eine Tatsache. Die Frage ist, wie viele Kinder wir schützen können", warnt auch UNICEF-Deutschland-Direktorin Carol Bellamy.