Dem Ruf seines Volkes konnte sich der Präsident natürlich nicht entziehen. Da flehte man Wladimir Putin während des Parteitages der Mehrheitspartei "Einiges Russland" regelrecht an, bei den kommenden Parlamentswahlen anzutreten. "Werden Sie unser allgemein-nationaler Führer", bat ihn ein Delegierter. "Für viele Jahre". Es war, wie immer, eine gut inszenierte Show. Und Putin tat, als zögerte er ein wenig, dann holte er seinen vorbereiteten Redezettel hervor und sagte "Ja". Er werde als Spitzenkandidat antreten, um nach einem Wahlsieg bei den Parlamentswahlen in zwei Monaten Premierminister zu werden. Und dieser Wahlsieg gilt als sicher.
So offenbarte Putin seinen Plan zum Machterhalt, bereitete monatelangen Spekulationen um seine Nachfolge ein Ende: Er ist sein eigener Nachfolger, er, "WWP", Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er, der neue, alte starke Mann Russlands. Und natürlich geht auch diesmal angeblich alles ganz demokratisch zu.
Die Politikwissenschaftlerin Dr. Lilia Schewzowa arbeitet in Moskau für das renommierte Institut "Carnegie Endowment for International Peace". Sie gilt auch international als eine der führenden Expertinnen für russische Politik. Während einer Konferenz in Washington sprach sie mit stern.de über Putins Masterplan der Macht.
Frau Schewzowa, warum möchte sich Putin nun zum Premierminister wählen lassen - bislang einer der schwächsten Positionen in der russischen Politik?
Zunächst einmal: Für Putin stellte sich die Frage nie, die wir vielleicht stellen würden: Zurücktreten, Abschied nehmen von der Macht. Er hat zwar von Anfang gesagt, dass er nach zwei Amtszeiten verfassungsgemäß sein Präsidentenamt aufgeben wird. Aber zugleich war immer klar: Er bleibt. Er kann die Macht nicht abgeben. Und das weiß er ganz genau.
Warum ist das nicht möglich?
Weil es um bestimmte, auch persönliche Interessen der Machtelite gibt. Es gilt, die Macht und das persönliche Eigentum jener Gruppe zu verteidigen, die im Moment im Kreml herrscht. Und dieses System, der gesamte russische Staat, hängt allein von Putin ab. Er ist beinahe wie ein Nagel, an dem Alles hängt.
Wie würden Sie Putins Russland beschreiben?
Es handelt sich um ein bürokratisch-autoritäres System. Es ist wie ein Großunternehmen, eine Korporation. Ehemalige Angehörige der Sicherheitsministerien...
... wie der Geheimdienste ...
...gehören dazu ebenso wie Nationalisten, Rechte, Linke, Bürokraten und Technokraten. Diese "Firma" bildet heute die Basis des russischen Staates. Der Präsident repräsentiert dieses Unternehmen nach außen. Wenn er wirklich abtreten würde, dann könnte es zu Instabilität, gar Krisen kommen. Deswegen lautete die Überlegung für Putin und seine Umgebung von Anfang an: Wie schafft man es, zurückzutreten, um an der Macht zu bleiben? Dabei gab es mehrere Varianten. Sich zum Premierminister wählen zu lassen, war eine der ersten Überlegungen. Mit dem Aufbau dieser parallelen Machtstruktur wurde vor gut einem Jahr begonnen. Es geht dabei auch darum, eventuell konkurrierende Gruppen ausbalancieren zu können. Und offenbar ist dies jetzt "Plan A". Dabei existiert durchaus ein gewisses Risiko: Zwar wird sich die Macht erneut um Putin herum gruppieren. Doch als Premierminister muss er die gesamte Politik verantworten. Die Menschen werden ihn dann vielleicht auch für alle Fehler verantwortlich machen. Und außerdem gäbe es ja noch einen Präsidenten...
... der wird doch ohnehin von Putin bestimmt.
Doch der Präsident, der im traditionellen Machtzentrum Kreml sitzt, hätte aber eigene Macht und eigene Leute. Das könnte durchaus zu einem Bruch in der Machtelite führen.
Warum bleibt Putin dann nicht der populäre Präsident, der er ist? Er hätte doch die Macht, für eine dritte Amtszeit die Verfassung zu ändern.
So einfach ist dies nicht. Putin ist ein kluger und durchaus feinfühliger politischer Taktiker. Eine dritte Amtszeit im Kreml, der Verfassung zuwider - das würde seiner Macht dann doch die Legitimation nehmen. Und offenbar scheint ihm diese angebliche demokratische Legitimierung der Macht nach außen wichtig. So, wie es ihm ja einerseits auch wichtig ist, im Konzert des Westens mitzuspielen, etwa im Rahmen der G-8 Staaten. Andererseits aber zeigt er deutlich, dass Russland jederzeit auch gegen den Westen sein kann. Und die Beziehungen mit dem Westen stecken in der Krise.
Was bedeutet Putins Entscheidung für Russland?
Leider keinerlei Modernisierung. Keine Veränderung. Schon als Präsident trieb Putin Reformen nicht voran, allen Ankündigungen und Schlagworten zum Trotz. Hier geht es nicht um Reformen. Es geht um den Erhalt des Status Quo. Die Putin-Partei "Einiges Russland" dominiert das Parlament, der Staat übt die totale Kontrolle über die Massenmedien aus, eine ernsthafte Opposition existiert nicht.
Wie lange kann sich dieses System halten?
In einigen Jahren wird es zu ernsten ökonomischen Problemen kommen. Russland ist ein Petrostaat. Wir gründen unsere Wirtschaftskraft allein auf unseren Rohstoffen Öl und Gas, auf Konsum. Aber es gibt kein echtes Wirtschaftswachstum. Russland ist regelrecht stecken geblieben. Niemand in der Machtelite, kein Geschäftsmann hat ein Interesse an Reformen. Und das Volk fordert keine echten Reformen. Alle wollen nur eins vermeiden: das Chaos der früheren Jahre, der Ära Jelzin. Es ist eine scheinbare Stabilität, sie gründet sich allein auf "Seiner Hoheit Öl", wie es bei uns heißt. Und später einmal wird man auch die Ära Putin als eine gewaltige vertane Chance für Russland betrachten. Irgendwann wird man erneut zur Einsicht gelangen, dass echte Reformen nötig sind. Aber dann werden die Voraussetzungen dafür sehr viel schlechter sein.