Irak Polizisten wegen Entführung verhaftet

Es ist die größte Massenentführung im Irak: die Täter kamen verkleidet als Polizisten und entführten dutzende Sunniten aus dem Bildungsministerium. Inzwischen gibt es erste Festnahmen.

Nur wenige Stunden nach einer spektakulären Massenentführung in Bagdad sind am Dienstagabend 20 Opfer wieder freigekommen. Der staatliche Nachrichtensender Al Irakija berichtete unter Berufung auf einen Regierungssprecher, die Entführer hätten 20 Beamte des Instituts für Kulturforschung freigelassen. Das Schicksal der übrigen Entführungsopfer war noch unklar. Unterdessen berichtete der Nachrichtensender Al Arabija, fünf irakische Polizisten seien unter dem Verdacht festgenommen worden, an der Entführung am Dienstagmorgen beteiligt gewesen zu sein.

Den Männern und Frauen, die an diesem Novembermorgen in der Nidal-Straße im Stau stehen, bietet sich ein selbst für irakische Verhältnisse unglaubliches Bild. Männer mit modernen Waffen und Polizeiuniformen sperren mit rund 20 Fahrzeugen die breite Straße, an der die Zentrale der Kommunistischen Partei, mehrere Kliniken und das staatliche Institut für Kulturforschung liegen. Dann drängen sie auf einmal die Wächter des Institutes zur Seite. Nacheinander durchkämmen die Angreifer alle Büros des vierstöckigen Gebäudes.

Zusammengetrieben wie Schafe

In Polizeiuniformen bringen sie dutzende von Menschen in ihre Gewalt und treiben sie zusammen wie Schafe - die größte Massenentführung in der Geschichte des Krieges. Bildungsminister Abed Dhiab spricht von 100 entführten Menschen, andere von 150. Doch anscheinend sind bei der Massenentführung weniger Menschen verschleppt worden, als befürchtet. Die irakische Regierung hat die Zahl wenige Stunden nach der Tat nach unten revidiert. Es seien höchstens 50 Personen verschleppt worden, sagte Regierungsprecher Ali al Dabbagh. Laut al Dabbagh, habe das Innenministerium einen Krisenstab eingerichtet und suche mit Hochdruck nach Entführern und Entführten.

Überfall von langer Hand geplant

"Die ganze Aktion hat maximal eine halbe Stunde gedauert", sagt ein Augenzeuge. Die Art und Weise, wie die Entführung ablief, lässt auch Minister Abed Dhiab glauben, "dass dieser Überfall von langer Hand geplant worden ist". Und so manchem Iraker fällt es, schwer zu glauben, dass nicht zumindest einige der Entführer aus den Reihen der Polizei stammen.

Das wiederholt selbst mit Entführungen in Verbindung gebrachte Innenministerium wurde in Alarmbereitschaft versetzt und leitete eine Großfahndung ein. Ob es sich bei den Entführern um Terroristen, Milizionäre oder Sicherheitskräfte handele, sei nicht bekannt, sagte ein Ministeriumssprecher.

Nur Sunniten verschleppt

Die Geiselnehmer waren in Kleinlastwagen vorgefahren und hatten die Forschungsabteilung des im religiös gemischten Stadtteil Karrada gelegenen Ministeriums am Morgen gestürmt. Die Bewaffneten hätten allen Frauen befohlen, in einen Raum zu gehen und ihnen die Mobiltelefone abgenommen, berichtete die Ministeriumssprecherin. Dann seien sie mit den Männern verschwunden.

Ein Augenzeuge berichtete, die Polizei habe der Entführung tatenlos zugesehen. Die Täter hätten nur Sunniten verschleppt, deren Religionszugehörigkeit sie anhand ihrer Ausweise überprüften. "Sie nahmen selbst den Tee-Verkäufer mit", sagte der auf Anonymität Wert legende Ministeriumsmitarbeiter. Auf dem Parkplatz des Ministeriums hätten etwa 40 Kleinlaster des Typs gestanden, der auch von der Polizei genutzt werde.

Abd Dhiab, ein Sunnit, sagte im Fernsehen, er habe das Innen- und das Verteidigungsministerium um stärkeren Schutz gebeten. Seine Mitarbeiter seien ins Visier von Angreifern geraten. Rund um das Ministerium gebe es viele Kontrollpunkte der Polizei und des Militärs. "Wir wissen, dass Polizeiautos den Entführern bis zu einem bestimmten Punkt folgten. Danach verliert sich ihre Spur", sagte Dhiab.

Täglich 50 unbekannte Tote

Entführungen sind im Irak an der Tagesordnung. Zahlreiche Geiselnahmen gehen auf das Konto religiöser Milizen, die entweder innerhalb der Sicherheitskräfte operieren oder von ihnen mit Ausrüstung unterstützt werden. Das von Schiiten dominierte Innenministerium hat wiederholt Vorwürfe von Sunniten und der US-Regierung bestritten, mit Entführerbanden und Todesschwadronen unter einer Decke zu stecken.

Im Juli hatten Uniformierte in der Nähe des Bildungsministeriums 30 Sportler und Sportfunktionäre entführt, von denen einige später freigelassen wurden. Im Oktober wurden 26 Mitarbeiter eines Fleischerei-Betriebes verschleppt.

Einige Entführungsopfer kommen gegen Lösegeld frei. Viele werden jedoch gefoltert und ermordet. In Bagdad werden täglich etwa 50 unbekannte Tote in Leichenhäusern abgeliefert.

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters