Irak Zweite Sitzung des Parlaments endet im Eklat

Der Streit um die Besetzung zentraler Regierungsposten eskalierte im Parlament. Zuerst beschimpften sich die Abgeordneten, dann wurden alle Journalisten des Saales verwiesen.

Im Streit um die künftige Besetzung zentraler Regierungsposten ist die zweite Sitzung des irakischen Parlaments am Dienstag mit einem Eklat geendet. Kurz nach Beginn der Debatte wurden alle Journalisten plötzlich des Saales verwiesen, nachdem sich die Abgeordneten zuvor teils heftig beschimpft hatten. Auch zwei Monate nach der historischen Wahl konnten sich die Volksvertreter damit entgegen ihrer Pläne nicht auf einen Parlamentspräsidenten einigen, was der erste Schritt für eine Regierungsbildung wäre. "Man kann sagen, dass wir uns in einer Krise befinden", sagte ein führender kurdischer Politiker. Unter den Abgeordneten und in der Bevölkerung wächst zunehmend der Frust über die anhaltende Unfähigkeit des Parlaments, eine arbeitsfähige Regierung zu bilden. Wichtige Projekte liegen brach, während das Land im Chaos zu versinken droht. Zwischen den größten Blöcken der Nationalversammlung, der Schiiten-Allianz und der Kurden-Koalition, gibt es seit Wochen Streit über die Verteilung der Kabinettsposten und die Prinzipien der neuen Regierung. Die Abgeordneten sollen nun am Sonntag erneut zusammenkommen.

TV-Übertragung abgebrochen

Gleich zu Beginn der Sitzung hatte der Alterspräsident verkündet, dass es weiter keine Einigung über einen Parlamentspräsidenten gebe. Die Proteste zahlreicher Abgeordneter und das sich abzeichnende Debakel führten schließlich dazu, dass Journalisten von der Versammlung ausgeschlossen wurden. Die Live-Übertragung im irakischen Fernsehen wurde abgebrochen, es folgte arabische Musik. Übergangs-Ministerpräsident Ijad Allaui verließ kurz darauf die Sitzung.

"Das irakische Volk, das sich über die Sicherheitsbedrohungen hinweggesetzt und gewählt hat - was sollen wir ihm sagen?", rief der Abgeordnete Hussein al-Sadr erbost. "Wir sollten schnell eine Regierung bilden und schnell tun, wofür wir gewählt wurden." Viele Abgeordnete des Parlaments stimmten ihm jubelnd zu. Auch in der Bevölkerung wächst die Enttäuschung über die Parlamentarier und die schwierigen Schritte auf dem Weg zur Demokratie. "Sie wollen nicht dem Irak dienen. Sie sind nur hinter Macht und Privilegien hinterher", sagte ein Iraker in einem Cafe in Bagdad. "Das ist eine Farce", sagte ein Taxifahrer: "Wenn sie bis jetzt keine Regierung bilden können, wie wollen sie dann ein Land führen?"

Grundsätzliche Einigung, aber Streit um den Kandidaten

Grundsätzlich hat sich die Mehrheitsfraktion der Schiiten bereits mit der Koalition kurdischer Gruppierungen geeinigt, einen Sunniten zum Parlamentspräsidenten zu bestimmen. Damit wollen sie der bei der Wahl unterlegenen sunnitischen Minderheit im Land entgegenkommen, die den Irak während der Herrschaft Saddam Husseins dominiert hatte. Nach den Wahlen im Januar ist diese Bevölkerungsgruppe kaum noch in der Nationalversammlung vertreten, da viele Sunniten wegen Anschlagsdrohungen der überwiegend sunnitischen Aufständischen oder aus Verärgerung der Wahl fern geblieben waren.

Über den konkreten Kandidaten für den Parlamentspräsidenten gibt es jedoch noch Meinungsverschiedenheiten. Die 17 Sunniten unter den 275 Abgeordneten der irakischen Nationalversammlung favorisieren Adnan al-Dschanabi. Dieser ist jedoch ein Verbündeter Allauis, der eine Regierungsbeteiligung ablehnt. Die Schiiten unterstützen den Sunniten Fawas al-Dscharba, der sich ihrer Allianz angeschlossen ab. Ihn wiederum lehnen die Sunniten strikt ab und haben damit gedroht, das Parlament zu verlassen.

Blockadesituation

Erst wenn der Parlamentspräsident bestimmt ist, kann die Nationalversammlung fortfahren und den Staatspräsidenten und seine zwei Stellvertreter wählen. Dieser dreiköpfige Rat kann dann den Ministerpräsidenten ernennen. Schiiten und Kurden, die gemeinsam die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit besitzen, haben sich im Grundsatz bereits auf den Schiiten Ibrahim Dschaafari als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten und den Kurden-Politiker Dschalal Talabani als künftigen Staatspräsidenten geeinigt. Dennoch könnte es wegen des andauernden Streits nach Einschätzung von Beobachtern noch bis zu zwei Wochen dauern, bis der Ministerpräsident offiziell ernannt werden kann.

Durch die Blockaden bei der Regierungsbildung verzögern sich auch die Pläne der US-Regierung, den Irakern immer stärker die Verantwortung für die Sicherheit des Landes zu übergeben. Auch am Dienstag waren in der stark befestigten Grünen Zone Bagdads Granaten zu hören. In der Zone befinden sich Einrichtungen der Regierung und der US-Streitkräfte. Die Nationalversammlung tagt ebenfalls dort. Zu dem Angriff bekannte sich eine Extremistengruppe. Berichte über Schäden oder Verletzte gab es nicht.

Reuters