Last Call Die Gentlemen-Diebe am helllichten Tag

Last Call: Die Gentlemen-Diebe am helllichten Tag

Wir haben unser Auto abgeschafft. In London braucht man kein Auto. Unser Auto fährt jetzt durch Finnland, falls es noch fährt, was ich sehr bezweifle. Es war immer schon ein altes Auto.

Wir fahren wie die meisten Londoner Bus und U-Bahn. Autofahren ist ziemlich teuer in London. Wer mit dem Auto in die Innenstadt fahren will, muss 11,50 Pfund zahlen, fast 16 Euro, die sogenannte Congestion Charge. Damit sollen die Leute davon abgehalten werden, Auto zu fahren. Das ist per se eine gute Idee. Aber stehen lassen kostet selbstredend auch und ist noch teurer als das eigentliche Bewegen des Fahrzeugs. Wir müssten pro Monat rund 200 Pfund zahlen für eine Parkberechtigung in unserer Straße, es sind die üblichen Preise in London. Ein Auto in London ist gewissermaßen eine lose-lose-Situation, man kann nur verlieren, so oder so. Durch unsere Straße streifen alle halbe Stunde Kontrolleure auf der Suche nach Parksündern. Sie gehen meistens im Rudel; sie müssen viel zu tun haben. Im Durchschnitt kommen zwei Kontrolleure auf ein Knöllchen. Ein Ticket kostet ungefähr sechzig Pfund aufwärts, vielleicht rechnet sich die Rudelbildung deshalb. Neulich hatten wir einen Wagen für den Urlaub gemietet. Wir parkten für nicht mal fünf Minuten vor dem Haus. 60 Pfund. Die Kontrolleure sind eigentlich ganz nett. Einer sieht aus wie das alte Walross Antje vom NDR. Er wiegt auch ungefähr so viel. Er trägt höchst erstaunliche Hochwasser-Hosen. Immer. Graue, schwarze und blaue Hosen, alle Hochwasser. Und er schnaubt, wenn er in seinen Hochwasser-Hosen durch unsere Gegend läuft, seine Kollegen müssen meistens auf ihn warten. Aber wenn es ums Parken geht, geht ihm nie die Luft aus. Verhandlungen mit dem Walross verlaufen ergebnislos. Die Kontrolleure grüßen immerhin sehr freundlich. Es sind Gentlemen, die zur Kasse bitten.

Napoleon verordnete den eroberten Ländern einen Rechtsruck

Wir fuhren dann in den Urlaub. Viele Europäer haben größten Respekt vor dem Linksverkehr hier. Es sei ihnen versichert, dass es den Briten, die auf den Kontinent übersetzen, umgekehrt nicht anders geht. Die Frage, wer nun auf der falschen Seite fährt, lässt sich zufriedenstellend nicht beantworten. Beide Seiten reklamieren für sich die Logik, und beide Seiten haben Argumente: Es gibt natürlich mehr Rechts- als Linkshänder. Aber die meisten Menschen besteigen Fahrräder und Pferde von links. Früher fuhren und ritten fast alle links. Im Mittelalter hatte das für Ritter den unschätzbaren Vorteil, dass sie mit der rechten Hand schneller ans Schwert kommen konnten, um den Opponenten im Gegenverkehr besser metzeln zu können. Irgendwann kamen aber Mittelalter, Ritter und Schwerter aus der Mode. Nach der französischen Revolution verbreitete Napoleon die neue Rechte. Grob war’s ungefähr so: Überall, wo die Franzosen geherrscht hatten, wurde fortan rechts gefahren, geritten und gegangen. Und überall dort, wo er nicht war, blieb alles beim Alten, also links von der Mitte, in Großbritannien, Österreich-Ungarn oder Portugal.

Erst nach und nach drifteten die meisten Nationen dann nach rechts, oder in einigen herrschte größtes Durcheinander mit beidseitigem Verkehr. In Spanien etwa oder in Österreich. Hitler verordnete seinem Geburtsland schließlich den definitiven Rechtsruck auch auf der Straße. Die Schweden schwenkten als letzte Europäer Ende der 60-er Jahre um. Und Samoa machte es genau anders rum – von rechts auf links. In 60 Ländern fahren die Leute noch links herum, viele davon alte Kolonien des Vereinigten Königreichs.

Man kann sich an das Linksfahren einigermaßen schnell gewöhnen in England. Man kann sich auch an das Tempolimit von 70 Meilen auf der Autobahn schnell gewöhnen. Schwieriger ist es mit dem Limit von 60 Meilen auf Landstraßen. Und zwar deshalb, weil 60 Meilen, 95 Stundenkilometer, auf sehr engen und sehr kurvigen Straßen verdammt schnell sein können. Im sehr kurvigen Wales schafften wir es selbst unter Aufbringung höchsten Risikos nie, nie über 60 Stundenkilometer. Es ist ein grundsätzlich sehr entspanntes Fahren in England. Erstaunlicherweise wird hier so gut wie nie gehupt. Das ist ein ziemlicher Kontrast zum vergleichsweise hup-affinen und temporeichen Deutschland. Man zuckelt gemütlich vor sich hin im Korso und auf der linken Seite.

Die Gemeinsamkeit von Walisern und Schwaben

Im sehr kurvigen Wales hielten wir gerne an Schlössern und alten Kirchen und Klöstern. Die Anweisungen auf Parkautomaten in Wales sind in walisischer Sprache gehalten. Das hat viele Vorteile für Waliser und Nachteile für alle Nicht-Waliser. Walisisch sieht schon sehr kompliziert aus, viele Konsonanten. Etwa sechshunderttausend Menschen können überhaupt walisisch reden, lesen und schreiben. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Stuttgart. Waliser und Schwaben haben außerdem gemein, dass man sie kaum versteht, wenn sie in ihrem landestypischen Idiom sprechen. Waliser vielleicht noch weniger. Vielleicht. Jedenfalls waren wir mit den Instruktionen auf dem walisischen Parkautomaten rechtschaffen überfordert. Es stand dort „Talwch yma“, und das muss so viel bedeutet haben wie „Hier bezahlen“. Daneben stand noch ein Schild auf walisisch, das Hundebesitzer dazu ermahnte, die Abfallprodukte ihrer Tiere bitte einzusammeln. Glücklicherweise hatten sie für Nicht-Waliser ein Piktogramm dazugestellt.

Wir warfen auf Verdacht zwei Pfund in den Parkautomaten ein, besichtigen ein Schloss, kamen nach zwei Stunden zurück und hatten ein Knöllchen über 70 Pfund. Geschrieben in eindeutigem englisch, plötzlich ging das. Zwei Pfund im Parkautomaten noch immer waren zwei Pfund zu wenig. Ich war ziemlich sauer.

In der Zeitung stand gerade erst, dass englische Autofahrer sich über „daylight robbery“ beklagen, Diebstahl am helllichten Tag. Die Städte und Gemeinden nehmen durch Knöllchen pro Jahr fast 700 Millionen Pfund mehr als eigentlich veranschlagt ein und bessern damit die Kasse auf. Manchmal verteilen sie sogar Knöllchen vor der Notaufnahme von Krankenhäusern. Die schlimmsten Abzocker landesweit sind drei Bezirke in London. Unser Bezirk Camden liegt in der Tabelle auf Platz drei mit fast 25 Millionen Pfund Zusatzeinnahmen. Das Walross in unserer Straße kommt bestimmt allein auf eine Million Pfund.

Bei nächster Gelegenheit werde ich ihm sagen, er solle sich von dieser Million endlich eine neue Hose kaufen.