Herr Friedel, Sie bemerkten das Erdbeben, als Sie gerade auf dem Weg zum höchsten Gipfel des Hohen Atlas waren, dem Toubkal. Was war das für ein Moment?
Es war die Nacht vor der Gipfelbesteigung und ich schlief im Zimmer eines steinernen Gästehauses auf 3200 Metern Höhe. In der Nacht wurde ich von einem Grollen geweckt. Im ersten Moment dachte ich: Da spült jemand etwas die Toilette runter. Doch es wurde immer stärker und die Erde begann zu zittern. Das wurde zu einem so heftigen Wackeln, dass ich mich richtig festhalten musste, um nicht aus dem Bett zu fallen. Da verstand ich, dass das ein Erdbeben ist.
Was war Ihr erster Gedanke?
Ich war mir sicher: Ich werde verschüttet. Wenn sogar so ein massives Haus wackelt, dann lande ich bestimmt unter Trümmern. Ich griff also zu meiner Brille mit dem Gedanken: Wenn ich aus dem Geröll gezogen werde, will ich wenigstens etwas sehen können. Ich hatte keine Panik, sondern eher ein taubes, abgeklärtes Gefühl. Dann bin ich blitzschnell ins Freie gerannt. Mir hinterher kamen andere Bergsteigerinnen und Bergsteiger und ihre Guides. Wir waren ungefähr 30 Leute.
Panikattacke und Tränen
Wie haben die anderen reagiert?
Ein paar Frauen haben geweint, ein Mann hatte eine Panikattacke, hat sich übergeben und ist hingestürzt. Andere haben ihn aus dem Haus getragen. Wir haben uns dann einfach vor das Haus gestellt, unter uns hat der Boden gewackelt und Millionen von Steinen brachen zu allen Seiten aus den Bergen. Es war stockfinster und alle wurden ganz still. Irgendwann haben wir in den Himmel geguckt und gemeinsam überlegt, welche Sternbilder über uns sind. Eigentlich absurd im Angesicht der Gefahr. Es kam uns vor wie ein Wunder, dass wir nicht von dem Geröll getroffen wurden und das Haus stehen blieb.
Wie haben Sie den Rest der Nacht verbracht?
Wir haben abgewartet, bis das Zittern vorbei war und keine Steine mehr geflogen sind. Dann sind wir ins Haus, haben Decken, Matratzen und Klamotten geholt und haben die Nacht im Freien verbracht, bis zum Sonnenaufgang. Im Gebäude hatten wir noch immer Strom und Internet. Und da sah ich die Nachrichten von Freunden aus Marokko, die wussten, wo ich war. Durch sie erfuhr ich erst, dass ich mich im Epizentrum des Erdbebens befand. Und meine Kinder schrieben: Papa, lebst du noch? Ich beruhigte erst einmal alle. Die Gastfreundschaft der Guides war unglaublich, sie haben uns sogar noch ein Frühstück zubereitet. Dann sind wir den Abstieg ins Bergdorf angetreten.

Zerstörte Dörfer
Was haben Sie beim Abstieg gesehen?
Die Straße war an einer Stelle blockiert von einem Fels, fast hausgroß. An anderen Stellen hat man Einschlaglöcher gesehen, wie Krater sahen die aus. Und wir sind auch durch ein Dorf gekommen, da steckte ein riesiger Stein in einem Hausdach. Viele Häuser waren zertrümmert und Menschen haben sich gegenseitig Hilfe geleistet. Der Ort Imlil, in den wir wollten, sah aus wie ein Geisterdorf. Dreck, Staub, eingestürzte Häuser. Kein Wasser, kein Strom, kein Internet. Dann bin ich erst mal eine Nacht geblieben und habe mir überlegt: Was machst du denn jetzt? Am nächsten Tag bin ich nach Marrakesch gefahren, wo ich gerade noch immer bin.
Wie ist die Lage in Marrakesch?
Ich sitze gerade auf der Dachterrasse eines Cafés in der Altstadt und wenn ich so um mich blicke, sehe ich an manchen Stellen, dass Häuser eingestürzt sind. Aber das Leben, die Geschäftigkeit hier, die ist so lebendig wie vor dem Erdbeben. Es sind weniger Touristen hier, das ist erkennbar. Wahrscheinlich sind viele nicht angereist oder vorzeitig abgereist. Aber das Leben hier in Marrakesch geht ganz normal weiter. Vereinzelt vor der Stadt sind noch Zeltstädte für Menschen, die ihre Häuser verloren haben. Aber so wie ich es mitbekomme, wird vor allem in Marrakesch alles getan, damit es so schnell wie möglich wieder aussieht wie vorher. Wohl auch für die Touristen. Aber die Marrokaner, denen ich hier begegne, finden gut, wie die Aufräumarbeiten verlaufen.