Der 11. September 1990 war der grausamste Tag im Leben von Helen Mack. An jenem Tag wurde ihre Schwester Myrna mit 27 Messerstichen ermordet. Die beiden waren zusammen in einem katholischen Internat in Guatemala-Stadt groß geworden. Myrna begeisterte sich dort für die katholische Soziallehre und studierte anschließend Anthropologie. Helen studierte Betriebswirtschaftslehre.
"Ich habe damals gar nicht begriffen, warum die Arbeit von Myrna so gefährlich war", sagt sie und es geht ihr immer noch sehr nahe, wenn sie an den Mord denkt. Erst nach dem Tod der Schwester hat Helen erfahren, dass Myrna an einer Studie über die Unterdrückung der Flüchtlinge in Quiché gearbeitet hatte. Der Bürgerkrieg in Guatemala dauerte damals schon gut 30 Jahre. Die Armee verfolgte nicht nur die Aufständischen, sondern betrachtete auch die Zivilbevölkerung als Feind.
Menschen, die Mut machen
Überall auf der Welt gibt es Menschen, die anderen helfen und in scheinbar ausweglosen Situationen Mut machen. Menschen, die oft selbst nichts besitzen, wegen ihres sozialen oder politischen Engagements bedroht werden und doch nicht aufgeben. Das Hilfswerk der evangelischen Kirche Deutschlands, "Brot für die Welt", unterstützt diese Menschen. Mit Spenden und mit praktischer Hilfe zur Selbsthilfe. So entstanden unzählige Projekte auf allen Kontinenten. In diesem Jahr feiert die Organisation den 50. Jahrestag ihrer Gründung. stern.de stellt während der Vorweihnachtszeit in einer Kooperation mit "Brot für die Welt" 26 Menschen vor, die von der Hilfe aus Deutschland profitiert haben - und nun selber zu Helfern geworden sind: zu Menschen, die Mut machen.
Freunde schickten Geld
Helen war 38 Jahre alt, als sie begann, die Mörder ihre Schwester zu suchen. Sie konnte sich damals nicht vorstellen, dass die Suche nach Gerechtigkeit 14 Jahre dauern würde. Kein Anwalt wollte den Fall übernehmen, Geld hatte sie auch nicht. Also begann sie selbst Gesetze zu studieren und Zeugen zu suchen. Helen entdeckte, dass Myrna aus politischen Gründen ermordet worden war.
Helen Mack war die erste Guatemaltekin, die ein Gerichtsverfahren wegen eines politischen Verbrechens anstrebte. "Wer damals nach Gerechtigkeit suchte, galt sofort als politisch links", erzählt sie. Fast täglich bekam Helen Mack Todesdrohungen.
Nach ein paar Monaten der Suche stellte ihr die katholische Kirche Rechtsberater zur Verfügung, Freunde aus dem Ausland schickten Geld. 1992 gelang es ihr endlich, den Täter vor Gericht zu bringen: einen Soldaten aus der Präsidentengarde. Er wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die Auftraggeber, drei hochrangige Militärs, wurden erst 2002 geschnappt. Noch während des Prozesses bekam Helen Dutzende von Todesdrohungen. Seither wird sie auf Schritt und Tritt von Leibwächtern begleitet.
Guatemala
Guatemala ist der bevölkerungsreichste Staat Zentralamerikas und hat einer der höchsten Kriminalitätsraten der Region. Vor allem in Guatemala-Stadt kommt es täglich zu bewaffneten Überfällen. Zudem treiben im Grenzgebiet zu Mexiko Drogenbanden in Unwesen. Marodierende Jugendbanden sind für ihre exzessive Gewalt bekannt. Von 1960 bis 1996 herrschte in Guatemala Bürgerkrieg, der mehr als 200.000 das Leben kostete und eine Million Menschen zur Flucht zwang.
In Gedenken an ihre Schwester, gründete Mack 1992 die Stiftung Myrna Mack. Als Grundstock diente ihr das Preisgeld des "Right Livelihood Award", des so genannten alternativen Nobelpreises, mit dem sie 1992 ausgezeichnet wurde.
Die Stiftung dokumentierte zunächst den Mord an Myrna Mack, um damit die Schwächen des Justizwesens und die katastrophale Lage der öffentlichen Sicherheit in Guatemala anzuprangern. Später kamen weitere Forschungsarbeiten dazu: über Korruption an Gerichten und die fehlende Unabhängigkeit von Richtern. Und Helen drängte darauf, dass den zivilen Opfern des Bürgerkriegs Gerechtigkeit widerfahren solle. "Brot für die Welt" unterstützt sie seit 1995 in diesem Kampf und finanzierte Menschenrechtskurse und Rechtsberatung in den am meisten vom Krieg heimgesuchten Provinzen.