"Das soll ein Putsch gewesen sein?" Der im Ruhestand lebende Geschäftsmann Wolfgang Siebeck aus Aachen reibt sich verwundert die Augen. Siebeck war in seiner Wahlheimat Phuket am Abend des Staatsstreiches in einer Kneipe. "Als die Fernsehsender plötzlich über den Staatsstreich informierten, herrschte vielleicht eine Stunde lang unter den Thais Aufregung. Das war’s." Sam Schwartz war am Abend des Putsches von Singapur nach Phuket geflogen, um mit seinem Geschäftspartner Daniel See die nächste Stufe des Wiederaufbaus ihres Boutiquehotels "Club One Seven" zu planen, nachdem das alte Hotel von dem Tsunami zerstört worden war. Auch Schwartz berichtet: "Auf Phuket ist alles normal." Der Amerikaner ist zudem zuversichtlich, dass Thailand den politischen Tsunami heil überstehen wird. "Unseren neuen Swimmingpool bauen wir noch dieses Jahr."
Alltag ist auch in Bangkok angesagt. Der in Thailands Hauptstadt lebende deutsche Journalist Gerald Kusche hat das Gefühl, der Putsch sei mehr ein Medienereignis. "Ohne die Nachrichten würde man gar nicht merken, dass ein Staatsstreich stattgefunden hat." Selbst in der Putschnacht habe in den Bars, Kneipen und Discotheken der vergnügungssüchtigen thailändischen Hauptstadt Hochstimmung geherrscht - wie immer. "Soldaten und Panzer sicherten die wichtigsten Regierungseinrichtungen und Fernsehsender, das war schon alles", sagt Kusche. Kein einziger Schuss sei in dem "Seidenputsch" gefallen, wie asiatische Medien den Staatsstreich von Militärchef General Sonthi Boonyaratglin gegen Thailands Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra getauft haben.
85 Prozent begrüßen den Putsch
Der 35 Jahre Khun Prawan ist glücklich über den Coup. "Thaksin war ein korrupter Diktator und hat der Demokratie geschadet." Damit gibt der in Bangkok lebende Architekt die Stimmung der Mehrheit seiner Landsleute wieder. 85 Prozent der Thais finden den Putsch gut - was politische Beobachter mit Verwunderung registrieren. Vor allem die arme Landbevölkerung sah in Thaksin nämlich ihren Helden. Der ehemalige Polizeioffizier, der zum milliardenschweren Unternehmer und Politiker aufgestiegen war, hatte mit einem warmen Geldregen die wirtschaftliche Situation der Landbevölkerung entscheidend verbessert. Die Weltbank konstatierte vor einem Jahr, die Armut in Thailand sei zwischen 2000 und 2004, der ersten Amtszeit von Thaksin, von 21,3 Prozent auf 11,3 Prozent zurückgegangen. Zum Dank bescherte die Landbevölkerung Thaksin bei den Wahlen vor einem Jahr eine zweite Amtszeit und stand auch bei den vorgezogenen Neuwahlen im April dieses Jahres noch fest zu Thaksin.
Die Wirtschaftsexperten der thailändischen Universitäten - die zur vordersten Riege der Thaksin-Opposition aus Akademikern, Intellektuellen, Journalisten, Künstlern gehören - geißelten diese Politik jedoch als "Thaksinomics". Die sozialen Wohltaten für die Armen seien nicht nachhaltig, sie hätten vielmehr deren Verschuldung erhöht, weil die Menschen in Mobiltelefone, Mopeds und andere Konsumgüter investiert hätten. Dieser Konsum mache die Reichen reicher und die Armen ärmer und damit abhängiger von sozialen Wohltaten der Regierung. Die eigentlich Gewinner seien die Unternehmerfreunde von Thaksin, während die Mittelklasse durch ihre Steuern die "Thakisnomics" finanzieren müsse. Wasser auf die Mühlen der Gegner des Regierungschefs war der Verkauf seines 49 Prozent-Anteils an dem von ihm gegründeten Kommunikationskonzern Shin Corp. an die Investitionsfirma Temasek der Regierung von Singapur. Der Deal brachte dem Thaksin-Clan 1,9 Milliarden Dollar ein. Steuerfrei. Dank der von seiner Regierung geschaffenen Gesetze.
Müssen uns mit der Situation abfinden"
Auch wenn die Mehrheit der Thais froh ist, den als korrupt geltenden Thaksin los zu sein, so sind doch aufrechte Demokraten entsetzt darüber, dass die Rettung der Demokratie durch einen Putsch erfolgte - der 17. in den 74 Jahren seit der Umwandlung Thailands in eine konstitutionelle Monarchie. "Es wird heute in Bangkok eine Protestveranstaltung gegen den Putsch geben", sagt Gothom Arya, Direktor "Research Center for Peace Building" der Mahidol Universität in Bangkok, am Freitag Ortszeit zu stern.de. Die Demonstranten wollten schwarze Krawatten als Zeichen ihres Protestes gegen den Putsch tragen. Der Akademiker stellt jedoch klar: "Um Missverständnisse zu vermeiden: Das ist keine Pro-Thaksin-Demonstration." Darüber zu spekulieren, ob die politische Krise in Thailand auf andere Weise hätte gelöst werden können, hält Gothom Arya für müßig. "Wir müssen uns mit der Situation abfinden wie sie ist." Gothom ist zuversichtlich, dass die Militärs ihr Versprechen wahrmachen, die Macht binnen zwei Wochen an eine zivile Übergangsregierung abzugeben.
Die Farbe Schwarz der Putschkritiker wird in Bangkok überstrahlt von der Farbe Gelb. Gelb, das ist die Farbe des Königs. Millionen von gelben T-Shirts wurden zum 60. Thronjubiläum des von den Thais hoch verehrten und geliebten Königs Bhumipol Adulyadej im Juli dieses Jahres unters Volk gebracht und seitdem, so scheint es, haben die meisten Bürger Bangkoks alle anders farbige Hemden, Blusen und T-Shirts eingemottet. Gelb sind auch die Bänder und die Blumen, mit denen die Thais die Soldaten und Panzer der Putschisten geschmückt haben. Ein klares Bekenntnis zum König und eine klare Absage an den gestürzten Premierminister, der von vielen Thais zunehmend als ein Widersacher des Königs gesehen wurde. Zwar hat in der konstitutionellen Monarchie Thailand der König nur noch eine bescheidene politische Macht, aber hinter den Kulissen hat König Bhumipol großen Einfluss. Die Putschisten, die sich "Rat für demokratische Reformen im Rahmen der konstitutionellen Monarchie" nennen, genießen den Segen des Königs.
Die gelben T-Shirts werden noch für eine Weile der politische Modeschlager in Bangkok bleiben. Am 5. Dezember feiern die Thais mit großem Aufwand den 79. Geburtstag des Königs, den sie als Garanten für Demokratie und Stabilität lieben und ehren.