Obamas verpatztes TV-Duell Auftritt eines zerrupften Ex-Messias

Mal schüchtern, mal belehrend und immer in der Defensive: Barack Obama hat das TV-Duell gegen Mitt Romney nach allen Regeln der Kunst verloren. Was war los mit dem US-Präsidenten?

Gelegenheiten zum Kontern hätte der Amtsinhaber genug gehabt. Etwa als sein Herausforderer die These aufstellte, unter Barack Obama seien 23 Millionen Menschen ohne Arbeit gewesen oder hätten aufgehört, sich einen Job zu suchen. Nur wenige Stunden nach der ersten TV-Debatte zwischen dem Präsidenten und Mitt Romney urteilten die Faktenexperten der US-Seite "Factcheck": Die Behauptung des Republikaners war übertrieben. Tatsächlich sind unter der stattlich klingenden Arbeitslosenzahl auch rund acht Millionen Amerikaner, die in Teilzeit arbeiten, aber lieber eine Vollzeitstelle hätten. Obama hätte dieses Detail wissen können, vielleicht sogar wissen müssen. Aber was entgegnete er? Wenig bis nichts. Müde, beinahe schüchtern wirkte der Präsident während des 90-minütigen Duells, in der er sich widerstandslos die Show stehlen ließ. Was ist los mit dem einstigen Superwahlkämpfer?

Vielleicht haben ja doch diejenigen Kritiker recht, die auf ihm auf seinen berühmt gewordenen Slogan "Yes, we can!" mittlerweile "No, you can't!" entgegnen. Schon länger berichten Beobachter in Washington davon, dass sich Obama zunehmend zurückzieht, als beratungsresistent bis arrogant gilt und überhaupt ermattet zu sein scheint angesichts seiner überfrachteten Agenda und dem erbitterten Widerstand, der ihm seit seinem Amtsantritt entgegenschlägt. Der Strahlemann, Hoffnungsträger und Friedensnobelpreisgewinner hat vier Jahre vielleicht an zu vielen Fronten gekämpft. Jetzt, wo er die Wähler um eine zweite Amtszeit bittet, geht ihm die Kraft aus, ihnen auch zu erklären, warum sie das überhaupt tun sollten.

Warum zauderte Obama beim Thema Wirtschaft?

Natürlich hatte Barack Obama den Vorteil, sich etwas auf seinen Amtsbonus ausruhen zu können. Und natürlich war es an Herausforderer Mitt Romney, das Staatsoberhaupt zu piesacken und anzugreifen. Und er tat es, wo es dem Staatsoberhaupt besonders schmerzte: in Sachen Wirtschaft. Auch wenn die Eckdaten der US-Ökonomie längst nicht mehr so übel aussehen, wie oft kolportiert wird, ist der Hauch des Aufschwungs noch lange nicht bei der Bevölkerung angekommen. Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit bei über acht Prozent - ein magischer Wert. Noch nie wurde ein US-Präsident bei so einer hohen Erwerbslosenquote wiedergewählt. Vorteil Romney, dem Mann von der Wall Street. Umso unverständlicher, warum sich Obama von seinem Sparringspartner John Kerry bei diesen heiklen Themen nicht besser hat trainieren lassen.

"Er war unfähig auf seinen Rivalen auf der Faktenebene zu reagieren", fasste die italienische Zeitung "Corriere della Sera" Obamas glanzlosen Auftritt kühl zusammen. Wie sprachlos das Staatsoberhaupt während der Sendung war, zeigte sich unter anderem an der Behauptung Romneys, dass sich die Benzinpreise während Obamas Präsidentschaft verdoppelt hätten. Eine Aussage, die auch stimmte, die Obama aber auch leicht hätte relativieren können. Doch er verpasste es schlicht, sie einzuordnen. Laut "Factcheck" nämlich lag der Preis zu Beginn seiner Amtszeit wegen der Wirtschaftskrise extrem im Keller. Kurz zuvor, im Sommer 2008, noch unter George W. Bush, hätte er sogar höher gelegen als im Moment. Beim Obama-freundlichen TV-Sender MSNBC hieß es nur: Der Präsident sei "unbewaffnet in eine hitzige Debatte gegangen".

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Obama kann ein großer Redner sein - wenn er will. Nun hat er noch zwei TV-Chancen, zu zeigen, warum die Amerikaner ihn wählen sollen.

Gefangen in der "Washington-Blase"

Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb Anfang September über den US-Präsidenten, dass er mittlerweile nur noch einem "kleinen Kreis alter Wegbegleiter aus Chicago vertraue", der die Lage zudem immer öfter falsch einschätzen würde. Die berühmt-berüchtigte "Washington-Blase", die schon viele Präsidenten vom Volk und der Realität abgekoppelt hat, hat auch Obama gefangengenommen, sie laugt und saugt ihn aus und verstärkt seine vorhandenen Tendenzen zum Isolationismus und Perfektionismus. Frei nach dem Motto: 'Ich kann und weiß es eh besser, also lasst mich in Ruhe.' "Das Weiße Haus verstärkt eine seiner besten Eigenschaften, nämlich seine Ernsthaftigkeit. Aber auch seine schlechteste: die Überzeugung, dass er ernsthafter sei als der Rest der Welt", schreibt die Autorin Jodi Kantor in ihrem Buch "Die Obamas".

Wenn Obama will, kann er mitreißende und große Reden halten. Doch genauso oft macht ihm eben jene Ernsthaftigkeit einen Strich durch die Rechnung und seine Ansprachen arten in professorale Predigten aus. Letzteres wollten seine Berater für das TV-Duell unbedingt verhindern, doch der Präsident wollte oder konnte nicht aus seiner Haut: Belehrend wies er ein ums andere Mal seinen Konkurrenten zurecht. Noch schlimmer: Er wirkte dabei nicht einmal souverän, sondern wich wie ein Teenager den Blicken des kampfeslustigen Romney aus.

"Ich bin kein perfekter Präsident"

Selbst Obamas Team gestand nach dem völlig vermasselten Auftritt ihres Schützlings ein, dass der Tagessieg an den Herausforderer ging. Am Ende flüchtete sich der Amtsinhaber in fast schon unterwürfiger Selbstkritik: "Vor vier Jahren habe ich gesagt, dass ich kein perfekter Mensch bin und dass ich kein perfekter Präsident sein werde. Das zumindest ist ein Versprechen von dem Gouverneur Romney meint, dass ich es eingehalten habe." Zwei TV-Chancen hat der zerrupfte Ex-Erlöser noch, dem Volk zu beweisen, dass er Wahlkampf und Präsident wirklich kann. Wenn er es denn will.