Sie hat eine ziemlich undankbare Rolle zu spielen, wenn sie am Abend gegen 20 Uhr Colorado-Zeit das Podium in Denver betritt. Es ist die Rolle einer Verliererin, die so tun muss, als ob sie sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, diese Rede zu halten. Eine Rede für den Gewinner, den Kandidaten, eine Rede für Barack Obama.
Es ist eine tolle Story für die mehr als 10.000 akkreditierten Journalisten in Denver, die auf der Suche nach Material für ihre Geschichten sind. Sie werden Hillary Clintons Rede durchsuchen nach Misstönen, nach versteckter Kritik an Barack Obama, nach einem falschen Lächeln, und jede wütende, weinende Hillary-Unterstützerin wird als Großaufnahme über die Bildschirme der Nation flimmern.
Aber wer, wenn nicht Hillary Clinton, weiß, wie man verliert? Und wie man noch in der Stunde der bittersten Niederlage, der tiefsten Erniedrigung (Monica Lewinsky) das Gesicht wahrt? Natürlich glaubt sie, dass sie die bessere Kandidatin in diesem Wahlkampf gewesen wäre. Außerdem mag sie Obama ebenso wenig, wie er sie mag.
Zwölf Leute mussten vermitteln
Es hatte wochenlange, zähe Verhandlungen um diesen Auftritt in Denver gegeben: Zwölf Mitarbeiter waren nur dafür abgestellt, die Clintons und die Obamas zusammenzubringen "es erinnerte schon an die Nahost-Friedensverhandlungen", mokierte sich die "New York Times". Aber sie ist ein politischer Vollprofi. Und in Denver darf sie keine Spielverderberin sein. Höchstens ein bisschen.
Nun wird Hillary Clinton zur Einheit aufrufen, zum gemeinsamen Kampf gegen John McCain. Und dies wird sie tun - auch, wenn sie tief in ihrem Herzen glauben mag, dass dieser unerfahrene Barack Obama die Wahl gegen den alten Kämpfer McCain kaum gewinnen werde. Auch, wenn sie heimlich auf einen Sieg des 72-jährigen Republikaners hofft: Denn dann hätte sie die Chance auf eine neue Kandidatur 2012.
Nun also wird Hillary Clinton als eine Art "Cheerleader in chief" für Barack Obama werben. Sie wird ihren Anhängerinnen auch sagen, dass sie in Funktion als Superdelegierte für Barack Obama stimmen werde, wenn der sich am Mittwoch offiziell zur Wahl stellt. Auch, wenn auf dem Stimmzettel dann, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, wohl noch ein zweiter Name steht: Hillary Clinton.
"Hillarys Coup", so heißt der Kompromiss - eine Art symbolische Kampfabstimmung, Bundesstaat für Bundesstaat. Doch schnell wurden Bedenken laut: Ist Obama noch nicht einmal stark genug, Hillary Clinton in die Schranken zu weisen - und das auf seinem Krönungsparteitag? "Was wird er denn dann gegen Osama bin Laden machen, wie wird er mit den Russen oder dem Iran umgehen, wenn er noch nicht einmal mit den Clintons fertig wird", fragte eine Kolumnistin in der "New York Times" bissig.
Obama muss waidwunde Seelen streicheln
Doch das ist der mühsam ausgehandelte Kompromiss, den Obamas Strategen eingingen, um die waidwunden Seelen der 1640 Hillary-Delegierten zu streicheln. Schließlich war mit Hillary Clinton zum ersten Mal in der Geschichte der USA eine Frau so weit gekommen - 18 Millionen Demokraten hatten sie gewählt. "18 Millionen Risse im gläsernen Dach", wie sie sagte. Und genau diese Wähler braucht Obama.
In den vergangenen Wochen hatte es viele Spekulationen um Hillarys Strategie für diesen Parteitag gegeben. Von der Notwendigkeit einer "Katharsis" hatte sie vor Vertrauten gesprochen, von einem reinigenden Moment wie in einer griechischen Tragödie. Enge Mitarbeiter und Freunde hatten - natürlich streng vertraulich - Zweifel an den Siegeschancen Obamas gesät. Er könne bei den Arbeitern in wichtigen Bundesstaaten wie Ohio oder Pennsylvania eben doch keine Punkte machen, hieß es. Und die jüngste Umfrage muss Balsam für ihre geschundene Seele sein: Bis zu 27 Prozent der Hillary-Unterstützer wollen demnach John McCain wählen.
Noch schlimmer aber: Obamas Strategen ließen durchsickern, dass man "keine Sekunde" erwogen habe, Hillary Clinton als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft zu nominieren. Das soll ein Dreamteam sein? Von wegen. Man hatte sie noch nicht einmal in die engere Wahl genommen. Wütend ließen Clintons Strategen daraufhin durchsickern, Hillary Clinton habe es abgelehnt, ihre Papiere für den strengen Prüfungsprozess einzureichen, wenn sie nicht als Nummer eins auf Obamas Liste käme. Und dann hatte sich Barack Obama auch noch für Joe Biden entschieden. Für einen Washingtoner Insider - genau wie Hillary Clinton. Für einen Senator, der für den Irak-Krieg gestimmt hatte - genau wie einst Hillary Clinton.
Und dann war da auch noch Gatte Bill auf Wohltätigkeitstour in Afrika. Von einer US-Reporterin gefragt, ob er denn glaube, dass Barack Obama bereit sei für das Präsidentenamt, da hatte er das Gesicht verzogen und ein bisschen gekünstelt herumgedruckst, um schließlich gedehnt zu sagen, dass ja wohl niemand "ready" sei für das hohe Amt. Auch er sei es damals nicht gewesen.
Bill zürnt immer noch
Aber Bill Clinton zeigt deutlich, wie sauer er immer noch ist. Nicht nur, dass Obama seiner Frau die Kandidatur weggeschnappt hat und ihm damit ein paar weitere Jahre im Weißen Haus. Vor allem sieht er sich um sein politisches Erbe bedroht: Denn er glaubt, dass ihm Obamas PR-Leute das Etikett "rassistisch" angeklebt hätten, als er in den Vorwahlen für seine Frau warb. Es ist kein Geheimnis, dass beiden sich nicht mögen. Auf Drängen seiner Berater aber hatte er mehrmals brav bei Bill Clinton angerufen, zuletzt sogar in der vergangenen Woche. Man habe länger miteinander gesprochen, hieß es knapp. Und immerhin: Bill Clinton kriegt seinen eigenen Auftritt, morgen Abend. Vielleicht wird er sich an seiner Frau ein Beispiel nehmen.